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Wie geht resiliente Demokratie? Strategien gegen Rechtsextremismus

Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland. Immer mehr Engagierte möchten dem etwas entgegensetzen. Dafür braucht es Wissen und Handwerkszeug: Was ist eigentlich Rechtsextremismus? Wie erkenne ich rechtsextreme Akteur*innen und ihre Strategien? Und vor allem: Was kann ich selbst gegen Rechtsextremismus unternehmen? Wie kann ich Betroffene stärken? Der Demokratieatlas bietet Antworten, mutmachende Praxisbeispiele sowie wichtige Quellen und Anlaufpunkte.

 
Der Demokratieatlas bündelt Analysen zur rechtsextremen Szene mit Möglichkeiten einer demokratischen Gegenwehr aus der Zivilgesellschaft.

Dieser Artikel ist ein Beitrag aus dem Demokratieatlas der Amadeu Antonio Stiftung.

In jüngerer Zeit liegt der Fokus der öffentlichen Diskussionen über die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit auf dem parlamentarischen Rechtsextremismus der AfD und einzelner Akteure wie beispielsweise Björn Höcke als verfassungsfeindlichem Vertreter des als rechtsextrem eingestuften Thüringer Landesverbands. Die Debatten drehen sich um Sanktionsmaßnahmen und Verbote, die Einschränkung von Grundrechten oder eine Einstufung der gesamten AfD als rechtsextrem durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Diese Diskussionen sind wichtig, und demokratische Institutionen und die Zivilgesellschaft sind aufgerufen, alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, um die Feinde der Demokratie aufzuhalten. Doch weder sind nur der parteiförmige Rechtsextremismus und die AfD eine Gefahr für die Demokratie, noch sind Verbote und Sanktionsmaßnahmen durch Behörden das alleinige Allheilmittel. Es kommt vor allem auf eine informierte und wachsame Zivilgesellschaft an:


Demokratie spricht. Vor der Bundestagswahl: Live, digital, vom 10.02. bis zum 18.02., jeweils um 19 Uhr auf dem YouTube-Kanal der Amadeu Antonio Stiftung.


Demokratiebildung und Präventionsangebote

Eine frühzeitige Intervention ist ein wichtiger Schlüssel, um menschenfeindlichen Haltungen zu begegnen, bevor sich diese verfestigen. Schulen, Bildungseinrichtungen und Jugendtreffs spielen eine entscheidende Rolle dabei, Anzeichen von Ideologien der Ungleichwertigkeit und von Radikalisierung zu erkennen und geeignete Unterstützung bereitzustellen. Die Bandbreite der Präventionsstrategien kann von Wissensvermittlung und Ansätzen der historisch-politischen Bildung zur Aufklärung über die Verbrechen der NS-Zeit und die Schrecken der Shoa bis hin zur aktuell-praktischen Menschenrechtsbildung reichen. Das Ziel von Demokratiebildung ist es, das Bewusstsein für demokratische Werte zu erhöhen und demokratiefeindliche Einstellungen zu reduzieren.

Ambiguitätstoleranz und Begegnungen

Präventionsarbeit sollte nicht nur die Vermittlung von Informationen, sondern auch „Herzensbildung“ und kritisches Denken umfassen und auf eine nachhaltige Stärkung von (jungen) Erwachsenen setzen. Demokratiebildung und Akzeptanzförderung, insbesondere die Entwicklung der Fähigkeit, Mehrdeutigkeit zu akzeptieren (Ambiguitätstoleranz), können dabei wichtige Pfeiler sein. Voraussetzung dafür sind Partizipation und eine wertschätzende und zugewandte Interaktion an Orten der Demokratiebildung. Sensibel vorbereitete Begegnungsprojekte und Austauschformate gehören ebenfalls dazu – ebenso wie das Ziehen „roter Linien“ und damit beispielsweise die Konfrontation und aktive Auseinandersetzung mit diskriminierenden Äußerungen.

Community-Engagement und Gemeinwesenorientierung

Die Einbindung des Gemeinwesens in die Präventionsarbeit kann entscheidend sein. Lokale Organisationen wie Sportvereine, Schulen, Jugendzentren, religiöse Institutionen, Bildungseinrichtungen oder sozialraumorientierte Stadtteilbüros können dazu beitragen, ein Umfeld der Akzeptanz und des Dialogs zu schaffen. Diese Gemeinschaftsbemühungen fördern die Zusammenarbeit und stärken das soziale Gewebe. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Community-Engagement und lokale Initiativen eine wichtige Rolle bei der Prävention von Rechtsextremismus spielen können. Einen Ausgangspunkt dafür können Aufklärung, Analyse und Information über (lokale) Besonderheiten des Rechtsextremismus in Kommunen bieten, oftmals angeboten von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus oder anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren vor Ort. Ein weiterer Ansatz ist die Förderung und Unterstützung lokaler Initiativen und Projekte zur Entwicklung von zivilgesellschaftlichen und demokratischen Strukturen im Gemeinwesen. Bei besonderen gemeinwesenorientierten Präventionsformen, wie zum Beispiel der „Lokalen Intervention“, werden örtliche Akteure mit der Situation von Betroffenen rechter Gewalt vertraut gemacht, um deren Sensibilität für Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus im lokalen Raum zu erhöhen und eine Solidarisierung mit Betroffenen menschenfeindlicher Ideologien zu erreichen.

Betroffene von Rechtsextremismus schützen und stärken

Eine gelingende Rechtsextremismusprävention darf die Perspektiven der Betroffenen rechter Gewalt nicht aus dem Blick verlieren. Stattdessen fokussieren viele Handlungsansätze bislang oft die Perspektive der Täter*innen. Potenzielle Opfer menschenfeindlicher Ideologien müssen gezielt empowert und gestärkt werden – vor allem in Regionen, die mit etablierten neonazistischen Strukturen zu tun haben. In der Stadtgesellschaft gilt es, solidarische Schutzräume zu schaffen und vor allem die Perspektiven und Erfahrungen von Betroffenen zum Ausgangspunkt für Interventionen zu machen. In allen Bundesländern gibt es Opferberatungsstellen, Migrantenselbstorganisationen und Antidiskriminierungsstellen, die diese Arbeit professionell beraten und unterstützen können: z.B. den Bundesverband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG): www.verband-brg.de.

Stärkung der Medienkompetenz und Online-Aufklärung

Rechtsextreme nutzen erfolgreich Social-Media-Kanäle, Gaming-Plattformen und Messenger-Gruppen, um menschenfeindliche Ideen und Demokratiefeindschaft zu verbreiten. Ansätze zur Stärkung von Medienkompetenz sind wichtig, um rechtsextreme Propaganda zu entlarven und das Bewusstsein für die Risiken von Rechtsextremismus im digitalen Raum zu schärfen. Nur so können Nutzer*innen Menschenfeindlichkeit und Hass im Internet erkennen, kritisch hinterfragen und ihnen entgegentreten. Dazu gehört Wissen darüber, wie rechtsextreme Agitation online funktioniert, welche Quellen im Netz verlässlich sind, wo ich rechtsextreme Inhalte melden kann oder Beratungsstellen finde. Auch Aufklärungskampagnen in den Medien oder in Sozialen Netzwerken können ein wirksames Mittel sein. Ein wichtiges Tool kann zudem Digital Streetwork sein – eine Art aufsuchende Sozialarbeit im Online-Raum. Im Rahmen von Digital Streetwork agieren pädagogisch geschulte Mitarbeiter*innen auf Plattformen wie YouTube, TikTok, Twitch und Instagram – denn diese sind wichtige Teile der (jugendlichen) Lebenswelt, in denen Menschen sich zusammenfinden, austauschen und agieren. Inhalten Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (wie Rassismus, Antisemitismus und Sexismus) muss hier widersprochen werden, und Menschen können hier dazu befähigt werden, sich eine fundierte Meinung zu Themen selbst zu bilden.

„Mit Rechten reden“? Kader und Mitläufer*innen erkennen

Es ist unerlässlich, sich darüber Gedanken zu machen, mit wem man es genau zu tun hat. Eine Differenzierung zwischen Kadern und Mitläufer*innen ist wichtig – ebenso die Verständigung darüber, dass die Arbeit mit Kadern oder rechtsextremen Aktivist*innen nicht vereinbar ist mit demokratisch verfassten Institutionen. Es braucht eine klare Verständigung über Grenzen der Zusammenarbeit. In kleinen Gemeinden und Orten kann dies eine echte Herausforderung sein, entweder weil es kaum Alternativen gibt, da der örtliche Fußballverein von Neonazis unterwandert ist, oder weil es auch eine Abgrenzung zu engagierten Anwohner*innen bedeuten kann, die sich ehrenamtlich oder mit Spenden in die Arbeit einbringen wollen. Dann ist eine transparente Kommunikation und Begründung erforderlich, die für Mitarbeitende, Unterstützer*innen oder Anwohner*innen nachvollziehbar erklärt, warum auf Kooperationen, Zusammenarbeit oder Unterstützung verzichtet wird. Zivilgesellschaftliche Initiativen können eine Vorbildrolle in ihrem Sozialraum einnehmen und die Bewusstseinsbildung fördern, sodass mit Sympathisant*innen und rechtsextrem orientierten Menschen gesprochen und gearbeitet wird, aber eben nicht mit Kadern, Funktionär*innen oder einschlägig bekannten Aktivist*innen des Rechtsextremismus.

Ausstiegsarbeit und Tertiärprävention

Ausstiegsorientierte Arbeit sollte unbedingt mit sorgsam ausgewählten, fachlich gut ausgebildeten Ausstiegsberatungsstellen erfolgen, die es in jedem Bundesland gibt, beispielsweise unter NinANRW.

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