Das Verhältnis der AfD zu den klassischen Medien ist ambivalent: Einerseits kritisiert sie die Medien als »Lügen«-, zumindest aber »Lücken-« oder »Pinocchio-Presse«. Die Partei fühlt sich von der Presse unfair behandelt. Heftige Kritik übt sie am öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dieser sei zwangsfinanziert und undemokratisch (Wahlprogramm der AfD zur Bundestagswahl 2017, S. 48). Kritische Journalist_innen werden von Parteiveranstaltungen ausgeschlossen – etwa Liane Bednarz auf dem Bundesparteitag im April 2017.
Gleichzeitig verfolgen die Rechtspopulist_innen eine klare Kommunikationsstrategie, die ihnen eine möglichst hohe Präsenz in den Medien sichern soll. Was sollten Journalist_innen beachten, um sich nicht zu Verlautbarungsgehilfen der AfD zu machen und auf ihre Strategie »Provokation – Zurücknahme – erneute Provokation«, die Medienlogiken so perfekt bedient, hereinzufallen?
Handlungsempfehlungen: Umgang mit rechtspopulistischen Positionen in den Medien
# Nicht provozieren lassen
Es muss nicht auf jede Provokation vonseiten der AfD reagiert werden. Die Partei muss auch nicht in jeder Talk-Runde vertreten sein, um eine ausgewogene Debatte führen zu können. Allgemein gilt: Wer Demagog_innen eine Plattform bietet, ob schriftlich oder im Bewegtbild, sollte diesen inhaltlich gewachsen sein.
# Die Debatte normalisieren
Informierte Debatten zu führen ist ein wichtiger Teil einer demokratischen Gesellschaft – doch wir müssen die Themensetzung auf Verhältnismäßigkeit prüfen. Menschenfeindliche Positionen sollten lieber referiert als direkt zitiert werden: Das bietet weniger Möglichkeit zur Selbstinszenierung. Auch Betroffene sollten zu Wort kommen.
# Sachlich kontextualisieren und politisch-inhaltlich berichten
Argumente und Ansichten sind vielfältig zu diskutieren, dabei liegt der Fokus auf der Sachebene. Analysen von Parteiprogrammen, Positions- und Strategiepapieren sind eine gute Grundlage für argumentativ fundierte Diskussionen.
# Menschenfeindliche Positionen benennen
Essenziell ist zu erläutern, warum menschenfeindliche Positionen problematisch sind. Auch hinter scheinbar konservativen Themen steckt häufig eine Abwertung von Minderheiten.
# Zahlen und Fakten hinterfragen
Zahlen und Fakten lassen sich am besten mithilfe fundierter Quellenanalyse und -kritik recherchieren. Bei Liveübertragungen kann dies etwa durch LiveFactChecking geschehen, also durch das Überprüfen des Gesagten. So können Diskussionsteilnehmer_innen direkt mit potenziellen Verzerrungen konfrontiert werden.
# Themen-Hopping unterbinden
Rechtspopulist_innen arbeiten mit Ängsten, Feindbildern und Mutmaßungen – an konstruktiven Lösungsvorschlägen sind sie selten interessiert. Journalist_innen sollten sich dessen bewusst sein und sich nicht auf Ablenkungsmanöver einlassen.
# Medien als Verifikationseinheit stärken
Transparenz, selbstkritischer Umgang mit Fehlern und den Informationsauftrag wahrzunehmen – das sollten Kernprinzipien journalistischen Arbeitens sein. Hierauf kann die Glaubhaftigkeit von Medienhäusern aufbauen.
# Gegenbilder entwerfen und Möglichkeiten aufzeigen
Betroffene von Hass und Abwertung sollten zu Wort kommen. Unerlässlich ist es, über die Debattenkultur zu streiten und einen wertschätzenden Umgang miteinander weiterzugeben – auch bei konträren Positionen.
# Zu Medienkompetenz und Quellenarbeit befähigen
Menschen sollten durch politische Bildungsarbeit zu Medienkompetenz und kritischer Quellenarbeit befähigt werden, die wiederum aufgeklärte Urteile zulassen.
Und bei Frau Weidels Auftritt?
Hier wird die Medienlogik massiv getriggert: Alice Weidel wird von den Mitdiskutanten angegangen, hat keine Argumente und geht einfach – und veröffentlicht danach auch noch ein Statement gegen die Moderatorin, die nichts dafür konnte, und gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, den die AfD ja eh abschaffen will. Pressekritik funktioniert in der Presse immer, Empörung auch. Die Berichterstattung ist zwar größtenteils AfD-kritisch, aber der AfD-Auftritt dominiert. Sinnvollerweise sei aber in der Berichterstattung zu erwähnen, dass es sich hierbei offenkundig um eine Inszenierung handelt – und inhaltlich klar zu machen, warum Frau Weidel diese Nebelkerze starten muss: Weil sie keine Argumente dazu hat, warum Rechtsextreme in ihrer Partei eine Heimat finden, die nicht ihr erwünschtes, wenn auch immer schlechter aufrecht zu erhaltendes „bürgerlich-konservatives“ Bild beschädigen würden. Und weil sie keine inhaltlichen Argumente hat, die eine Berichterstattung wert wären.
Wobei die AfD sich intern sich über nichts so sehr erregt hat wie darüber, dass die Presse in den vergangenen Wochen fast gar nicht mehr über sie berichtet hat. Insofern wäre ein Artikel, der sachlich über die Inhalte der TV-Show berichtet und Weidels Abgang nur am Rande erwähnt hätte, auch wohltuend gewesen…
Exkurs: Beispiel Sprache und Provokation – Das AfD-Strategiepapier
Die Sprachforscherin Elisabeth Wehling von der Berkeley University in Kalifornien spricht sich dagegen aus, auf jede sprachliche Provokation der AfD einzugehen und sie breitzutreten: »Wenn sich die Medien auf die Angriffe als ›Lügenpresse‹ einlassen und beginnen, zu belegen, dass sie ehrlich sind, haben sie sich schon im Angriff des Gegners verheddert. […] Wenn wir Ideen wiederholen, propagieren wir sie in den Köpfen der Menschen – ob wir wollen oder nicht. Selbst wenn wir ›dagegen‹ sind. Das Negieren von Ideen stärkt sie – denken Sie nicht an einen rosaroten Elefanten!«
Das ganze Interview mit der Berkeley-Linguistin im Tagesspiegel findet sich unter www.tagesspiegel.de/medien/sprachforscherin-elisabeth-wehling-wir-gehen-trump-immer-noch-auf-den-leim/19345710.html.
Das Weitertragen von rechtspopulistischen und rechtsextremen Narrativen geschieht also häufig völlig unbewusst und selbst in Texten, in denen Kritik an solchen Positionen geübt werden soll. Indem wir Vokabular, Bilder und Botschaften übernehmen, steigern wir die Aufmerksamkeit für die Narrative der AfD. Die Partei ist sich dieses Umstandes sehr wohl bewusst und macht ihn sich zunutze. So heißt es im Strategiepapier der AfD zum Bundestagswahlkampf 2017 explizit: Gesucht wird eine »reflexhafte Eskalation« mit den anderen Parteien: Die AfD müsse »ganz bewusst und ganz gezielt immer wieder politisch inkorrekt sein«. Die AfD dürfe »vor sorgfältig geplanten Provokationen nicht zurückschrecken«. »Die AfD lebt gut von ihrem Ruf als Tabubrecherin und Protestpartei. Sie braucht sich dessen nicht zu schämen, sondern muss sich selbstbewusst zu ihrer Aufgabe bekennen, dem Protest in Deutschland eine politische Richtung und ein Gesicht zu geben.« »Nicht die AfD darf das Gespräch verweigern, die Altparteien müssen es ablehnen.« Ziel sind »wenige, sorgfältig ausgewählte und kontinuierlich bespielte Themen von Bedeutung. Sie müssen so aufbereitet und vermarktet werden, dass die AfD mit ihnen in der Öffentlichkeit identifiziert wird, ihre bisherigen Alleinstellungsmerkmale verteidigt und einige wenige neue hinzugewinnt.« Wichtiger ist »mehr Erfolg als immer wieder neues zu bringen. Konzentration auf Eingängiges geht vor Vollständigkeit, harte und provokante Slogans sind wichtiger als lange, um Differenzierung bemühte Sätze, die es allen recht machen wollen.« Die Reaktionen und Befindlichkeiten anderer Teile der Gesellschaft seien für die AfD »von untergeordneter Bedeutung«. (Auszüge aus dem Strategiepapier: www.tagesschau.de/inland/afd-strategiepapier-101.html, 23.01.2017)
Die Aufgabe für die Medien besteht also darin, klug auszuwählen, wann eine Geschichte von öffentlichem Interesse ist. Genauso wichtig ist es, sich mit den Narrativen der AfD auseinanderzusetzen und zu vermitteln: Was sagen Vertreter_innen der Partei? – und was meinen sie damit? Denn die AfD versucht durchaus, menschenfeindliche Aussagen zu verschleiern, um bürgerliche Wähler_innen anzusprechen. Weder Ekel noch Empörung oder Erregung dienen der Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen Positionen. Die Leserschaft sollte das Werkzeug an die Hand bekommen, mit denen die tagtägliche Auseinandersetzung – ob verbal oder geistig – gelingt:
Parteiprogramme, Positionspapiere und Veröffentlichungen analysierenStrategien offenlegen und diesen nicht auf den Leim gehenmenschenfeindliche Positionen benennen und erläutern, warum diese problematisch sindpolitisch-inhaltlich berichten statt über Personen und Machtfragen, wie es bei der AfD oft der Fall ist.
Die Spiegel-Journalistin Melanie Amann empfiehlt, Fragen von Journalist_innen sollten nüchtern, unaggressiv und ergebnisoffen sein, nicht auf die Person zielen, sondern auf politische Konzepte. »Wie genau würden Björn Höcke oder Alexander Gauland eine ›negative Obergrenze‹ von minus 200 000 Migranten im Jahr forcieren? Wie würden sie die Kandidaten für die jährliche ›Remigration‹ auswählen und auf welcher Rechtsgrundlage eigentlich? Was tun, wenn die Ausgewählten Widerstand leisten, juristisch oder physisch? Was, wenn ihre Herkunftsländer sie nicht zurücknehmen?«
Auf diese Weise werden Forderungen der AfD mit der Realität konfrontiert, konsequent zu Ende gedacht. Außerdem:
Bruchlinien in der Partei aufzeigen, auf inhaltliche Widersprüche hinweisenAfD-Funktionär_innen mit internen Machtkämpfen konfrontierenhartnäckig nach Rollenverständnis der Partei fragen: Fundamentalopposition oder regierungswillige Kraft?nach anonymen Spenden fragen, z.B. der verdeckten Spende in Form der Zeitung »Extrablatt«.
Weiterlesen:Melanie Amann: Angst für Deutschland. Die Wahrheit über die AfD: wo sie herkommt, wer sie führt, wohin sie steuert, München 2017.
MEHR ZUM THEMA IN DER BROSCHÜRE „POSITIONIEREN. KONFRONTIEREN. STREITEN“:
»Überforderte Atemlosigkeit«: Interview mit Alice Lanzke, freie Journalistin, Referentin und Lektorin sowie Projektleiterin bei den Neuen Deutschen Medienmachern.»Konkret nachhaken und eigene Schwerpunkte setzen!« Interview mit Sabine am Orde, innenpolitische Korrespondentin der taz.
Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre „Positionieren Konfrontieren Streiten -Handlungsempfehlungen zum Umgang mit der AfD“ der Amadeu Antonio Stiftung. Mit aktueller Ergänzung.
Sie können die Broschüre auf der Website der Amadeu Antonio Stiftung als pdf herunterladen oder unter info@amadeu-antonio-stiftung.de gedruckt bestellen.
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