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Sat.1-Frühstücksfernsehen Wie sexualisierte Gewalt bagatellisiert und externalisiert wird

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Anwalt Alexander Stevens und Christian Wackert beim Sat.1-Frühstücksfernsehen (Quelle: Screenshot T-Online)

Endlich wieder Oktoberfest! Das heißt, endlich mal wieder richtig viel Alkohol konsumieren und dann den Konsens ignorieren – denn hey, man war ja betrunken. Doch Menschen, die hier verharmlosend von “Kavalierdelikten” sprechen, denen macht die gesetzliche Verankerung von “Nein heißt Nein” und die “Me too”-Debatte jetzt das Leben schwer. Im Sat.1-Frühstücksfernsehen erklärt Rechtsanwalt Dr. Alexanders Stevens Dos und Dont’s im Umgang mit sexualisierter Gewalt. In Österreich möchte das Innenministerium vermehrt Nationalität und Aufenthaltsstatus von Sexualstraftätern in den Fokus stellen.

 

 

Oktoberfest heißt – laut Sat.1-Frühstücksfernsehen-Moderator Christian Wackert – nicht nur “große Dekolletees und Männer in knackigen Lederhosen”, sondern auch Flirtzeit. Doch seit November 2016 ist das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung in Kraft. Nach diesem Gesetz muss sich für eine strafrechtliche Verfolgung des Täters die betroffene Person nicht mehr körperlich gewehrt haben. Ihr muss auch keine physische Gewalt widerfahren oder angedroht worden sein. Es reicht, erkennbar für den Täter signalisiert zu haben, dass “die sexuelle Handlung nicht gewollt” war.

 

Es ist also das zweite Oktoberfest, auf dem gesetzlicher verankert ist, dass nein auch wirklich nein heißt. Für das Frühstücksfernsehen der passende Anlass, die Auswirkungen dieses Gesetzes zu diskutieren. Natürlich nicht für die Betroffenen. Es werden die Auswirkungen auf das Flirten diskutiert. Denn: Das Gesetz sei “in erster Linie natürlich für die Männer schlimm” [sic]. Aber auch für Frauen, denn viele Männer trauten sich gar nicht mehr, so richtig zu flirten. Um die Dos und Dont’s nochmal abzuklären, hat sich Sat.1 lieber keine Frau, sondern einen Experten eingeladen: Den Rechtsanwalt Dr. Alexander Stevens.

 

Er soll erklären, was denn eigentlich strafbar ist und wie man sich jetzt überhaupt noch verhalten kann. Vielleicht gibt es ja doch noch die ein oder andere Lücke, mit der Konsens ignoriert und Grenzen überschritten werden können?

 

Sichtlich erzürnt fragt Wackert dann auch, ob acht Monate auf Bewährung wegen Grapschen nicht doch ziemlich viel seien. Er bezieht sich dabei wohl auf einen Übergriff, der 2017 auf dem Oktoberfest passierte. Aus einer Männergruppe heraus greift ein Mann einer Frau von hinten in den Schritt. Als diese ihn beschimpft, wird sie von der Gruppe ausgelacht und nachgeäfft. Die Gruppe sucht sich eine andere Frau, der Mann greift auch dieser Frau von hinten gewaltsam in den Schritt. Dafür landet der Mann in Untersuchungshaft und wird im Februar 2018 schließlich zu 8 Monaten auf Bewährung verurteilt. Und das obwohl, wie Stevens erklärt, er der “Frau oberhalb der Bekleidung zwischen die Beine gefasst hat.” Eine Stoffschicht soll dann wohl diesen Übergriff abschwächen.

 

Es ist wirklich eine Leistung, Konsens als ein Hindernis fürs Flirten darzustellen. Als würde ein Übergriff unbewusst nebenbei passieren. Als würde man ein Kopfschütteln, ein Nein, ein Ignorieren, Wegdrehen, Weggehen oder Wegschubsen nicht bewusst übergehen und missachten. Doch statt anzuerkennen und zu benennen, dass sexualsierte Gewalt immer auf der bewussten Entscheidung des Täters basiert, wird im Frühstücksfernsehen darüber gesprochen, dass beim Feiern mit viel Alkohol schon mal “die Hemmungen fallen”.

Im Beitrag werden Besucherinnen des Oktoberfestes befragt, ob sie Erfahrungen mit sexueller Belästigung auf dem Fest gemacht hätten. Alle bejahen die Frage. Außerdem betonen sie, wie froh sie seien, wenn Freundinnen dabei sind. Abends würde es immer “unnetter” werden. Für Wackert sind “die Leute” sich jedoch nicht so ganz einig und sicher. Nicht sicher, ob sie diese Erfahrungen gemacht haben und uneinig, ob es sinnvoll ist, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung gesetzlich zu stärken?! Der Locker Room Talk neigt sich dem Ende zu. Abschließend kommt der Moderator wohl zur wichtigsten Frage. Was ist denn eigentlich “wenn man flirtet und die Frau dann sagt, du hast mich sexuell belästigt?” Damit besteht wohl kein Zweifel mehr an der Bedeutung des oben eingeblendente Banners “Wenn die Angst mitfeiert”. Es geht hier natürlich um die Angst vor Falschbeschuldigung und nicht um die Angst vor hemmungslosen Übergriffen und physischer und psychischer Unversehrtheit.

 

Wie praktisch doch, dass Stevens da ist. Der Fachanwalt hat 2016 bereits die sechs Dinge erklärt, die man “beim Sex jetzt besser lassen sollten”. So zum Beispiel den ersten Kuss. Den würde es nämlich mit der Einführung des Gesetzes nicht mehr geben. “Denn ein überraschender Kuss ist nach dem Wortlaut des neuen Gesetzes nicht nur eine sexuelle Belästigung; er ist sogar eine sexuelle Nötigung. Strafbar macht sich jetzt [wer einen] Überraschungsmoment ausnutzt.” Dass das Gesetz sehr nah an der Realität ist und nicht – wie Männerrechtler und Antifeministen es gerne versuchen darzustellen – eine zu belächelnde und übertriebene Dimension hat, zeigt ein Blick auf den “Wiesn Report” der bayerischen Polizei. Am 26.09.2018 tippt ein “Wiesn-Besucher einer ihm unbekannten Frau auf die Schulter”. Als diese sich umdreht, küsst er sie “gegen ihren Willen ins Gesicht.” Am 25.09 verzeichnet der Report mehrere sexuelle Belästigungen, eine Vergewaltigung auf dem Gelände, und ein versuchter sexueller Missbrauch einer widerstandsunfähigen Frau.

 

Nach harscher Kritik an dem Beitrag, hat Wackert sich jetzt übrigens auf Twitter entschuldigt. Auf der Seite von Sat.1 ist der Beitrag nicht mehr aufrufbar.

 

Während sexualisierte Gewalt in der Frühstücksfernsehsendung also als “Flirt” bagatellisiert wird, wird sie von Rechtsaußen-Akteuren externalisiert und als Import-Problem verhandelt. Hier ist etwa eine “Weisung” des österreichischen Innenministeriums interessant, bei Fällen von sexualisierter Gewalt die Staatsbürgerschaft und den Aufenthaltsstatus von Verdächtigen explizit zu nennen. So steht es in einer internen Mail aus dem Innenministerium an die Polizeidirektion. Dies soll allerdings nicht für alle Taten sexualisierter Gewalt gelten, sondern „vor allem Taten, die in der Öffentlichkeit begangen werden [und] mit erheblicher Gewalteinwirkung oder Nötigungen erfolgen”. Diese sollen öffentlich gemacht werden. Was dann unsichtbar bleibt: Häusliche Gewalt. Dabei passieren, laut einer Statistik der österreichischen Frauenhäuser, 80% der Vergewaltigungen im sozialen Nahraum. Doch es ist leichter, mit dem rassistischen Feindbild des migrantischen “Sexualstraftäters” gegen Geflüchtete zu hetzten, als sich ernsthaft mit dem Schutz von Frauen, allen Frauen, auseinander zu setzen..

 

Als ein Geflüchteter Ende 2017 seine Ex-Freundin im südpfälzischen Kandel ersticht, wird dieses Ereignis von Rechtspopulisten und Rechtsextremen instrumentalisiert. Vorne mit dabei AfD-MdB Peter Bryston und der Kopf der österreichischen rechtsextremen “Identitären Bewegung”, Martin Sellner. Die rechte Initiative “Kandel ist überall” gründet sich und organisiert seit jeher rassistische Proteste. Auch anhand dieser Dynamik wird deutlich, wie wichtig das Bild des externen Feindes für die angestrebte autoritäre Volksgemeinschaft ist. Sexualisierte Gewalt sei kein Problem der deutschen Mehrheitsgesellschaft, sondern komme von außen. Es geht dabei natürlich nie wirklich um die Betroffenen. Rechte Ideologie ist von Grund auf antifeministisch. Frauen haben in der Volksgemeinschaft schließlich eine untergeordnete Position.

 

Mitglieder des Forschungsnetzwerks Frauen und Rechtsextremismus erklären in einer ausführlichen Analyse über das Mobilisierungspotential dieser rassistischen Instrumentalisierung, dass “das Problem nicht die Ethnizität oder die Migrationsgeschichte von Tätern und [Betroffenen], sondern eine bestimmte Form von Männlichkeit.” ist. Im Sat.1-Bericht wird sexualisierte Gewalt nicht ethnisiert. Dennoch wird die Ursache sexualsierte Gewalt auch dort nicht als eine problematische Konzeption von Männlichkeit benannt, nach der Männer den Eindruck haben, es stehe ihnen frei , über Frauen zu verfügen. Problematisiert werden nicht wirklich die Übergriffe, sondern die Sanktionierungen dieser Übergriffe. Solche Darstellungen freuen  Rechtspopulisten, die oft genug selbst Sexisten sind, aber ausschließlich Sexismus durch migrantische Täter skandalsiert sehen wollen. Denn ihr Selbstbild, “deutsche Männer” könnten keine Täter sein, soll ja intakt bleiben.

 

Zum Weiterlesen:

Toxische Männlichkeit von Kandel bis Chemnitz

 

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