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Wildes Berlin? Weißes Berlin.

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Im BKA-Theater (Außenansicht) sind verschiedene Künstler_innen und Gruppen zu Gast. "Wildes Berlin" ist eine Eigenproduktion in Kooperation mit dem "Theater Mogul", basierend auf dem gleichnamigen Roman von Robert Löhr & Christoph Rode. (Quelle: Flickr.com / Creative Commons CC by-SA 2.0 / Michael Coghlan)

„Das tierische Hauptstadtmusical“ mit Menschen in Tierkostümen. So wirbt das BKA-Theater für sein Musikal „Wildes Berlin“. Vermenschlichte Tiere sind für mich, als Leiterin eines Puppentheaters, ein spannendes Thema. Ich überrasche also meinen Mann mit ein paar Tickets und wir steigen an einem Samstagabend, voller Vorfreude in die fünfte Etage des Kreuzberger Kabarett Theaters.

Zu unserer Überraschung sitzt einem Saal mit roten Samtvorhängen und kleinen Tischen, ein fast ausschließlich weiß-deutsches Publikum, bürgerlich gekleidet, im Durchschnittsalter 45 aufwärts. Kellner im Einheitslook servieren Sekt und Wein. Sind wir im falschen „Film“?

Der erste Song bestätigt unsere Befürchtung. Die Schauspieler hüpfen in ihren Tierkostümen herum und singen immer wieder „Wir sind in Berlin!“. Sind wir in einem „Touri-Musical“? In der folgenden Stunde hüpfen, schreien, bumsen und räkeln sich die „tierischen“ Schauspieler auf einer benebelten Bühne zwischen Mülltonne und Parkbank. Die Handlung ist so flach, dass sie nicht der Rede wert ist. Im Vordergrund steht eine Freak-Show von Stereotypen im Tiergewand.

Da gibt es den westdeutschen Biber aus Prenzlberg, der ganz niedlich daherkommt und in süddeutschem Dialekt von seiner Gentrifizierung  schwärmt, den veganen Hipster-Waschbären aus den USA, die proletenhafte Vorstadt-Füchsin, das Freak-Kaninchen aus Wilmersdorf und immer wieder wird versichert „Wir sind in Berlin!“.

Es tut weh hinzusehen, aber wir bleiben tapfer. Die Schmerzensgrenze wird überschritten als Ülker, die Türkentaube, mit ihrem Kopftuch über die Bühne watschelt. In einem Potpourri von Ghettoslang, arabeskem Akzent und badensischen Zwischenblitzen versucht die in Freiburg geborene Schauspielerin Konstanze Kromer, sich als getürkte Türkin zu verkaufen. Ab und zu wirft sie ein „Yallah“ hinein, aber es hilft nichts. Die Bühnenheldin hat unübersehbare Probleme, den Vogel mit Migrationshintergund überzeugend zu spielen. Sie hätte besser beim süddeutschen Biber bleiben sollen.

Ülker die Türkentaube ist mal wieder schwanger und vor den „Hackattacken“ ihres Mannes ins Taubenhaus geflohen. Sie spuckt Sonnenblumenkerne durch die Gegend und verwendet gleich in den ersten Minuten das arabische Wort für Sünde, „Haram“, so oft, dass selbst der letzte Dorfdepp sich das Wort gut gemerkt haben wird. Die muslimische Vogelfrau versichert ihren Tiergenossen, dass sie alle in der Hölle brennen werden.

Der Rotwein bleibt in meiner Kehle stecken. Als Tochter türkischer Migranten und Kind dieser Stadt müsste ich es wissen. Ich kenne keine solchen türkischen Frauen. Wie viele Türkinnen haben ein solches Auftreten tatsächlich? Gemäß dem Regisseur viele. Warum sollte er sonst die Türkentaube den Touristen auf eine solche Weise vorführen?

Mit dem Abschlusslied vor der Pause wird der Tiefpunkt des ersten Teils erreicht.

„Das Tier in mir!“ singen die sich sexy räkelnden Schauspieler und werden von Nebeldunst umgeben. Mit „Das Tier in mir“ meinen der Fuchs, der Waschbär & Co. das Animalische und Wilde in sich. Aber Ülker, die Türkentaube bezieht sich im Lied unmissverständlich auf das Kücken in ihrem Leib. Das ungeborene Türkenkücken wird mit dem bestialischen Charakter eines verwilderten Tieres gleichgestellt.

Das Licht geht an, man stürmt zum Klo und zur Bar im Foyer. Mein Mann und ich sehen uns lange wortlos an. Ich spreche zu erst „Meinst Du wir halten den zweiten Teil durch?“ Wir nehmen unsere Mäntel und wollen gehen. Aber Moment! Wir haben fast 60 Euro bezahlt um einen schönen Abend zu haben. Sollen wir jetzt einfach gehen? Nein!

Wir fragen uns zu der Person, die für diesen Abend verantwortlich ist, durch. Die Person heißt Uwe Berger und ist Geschäftsführer des BKA. Berger steht mit seinen Angestellten hinter dem Tresen und schenkt Bier aus. Ich trete an ihn heran und erkläre ihm in knappen Worten, dass ich mich als Tochter türkischer Eltern von dem Stück diskriminiert fühle und mein Geld zurück verlange. Er schaut mich an und antwortet: „Ist nicht mein Problem!“.

Es wird Zeit für meine Atemübungen! Ruhig versuche ich ihm zu erklären, warum ich die Darstellung der Türkentaube als diskriminierend empfinde. Diesmal kommt die Antwort: „Im Theater darf man alles! Darüber will ich nicht diskutieren!“ Er dreht sich weg und widmet sich weiter seiner Schankwirtschaft.

Gedemütigt wenden wir uns dem Ausgang zu. Aber dann kommt es über mich: Das Tier in mir! Ja, das Bestialische und Wilde und Berlinerische, das keine Atemübung stoppen kann. In einem Ratgeber hatte ich gelesen, dass man sich auf innere Bilder konzentrieren soll, wenn einen die Emotionen überwältigen. Bilder meines Lebens ziehen in mir vorbei: „Hat Dein Papa mehrere Frauen?“, „Schlägt Dein Papa Deine Mama?“, „Bist Du beschnitten?“, „Hast Du eigentlich Deinen Mann freiwillig geheiratet?“, „Du verstehen Deutsch?“.

Ich kehre zurück zur Theke. Uwe Berger schenkt gerade Bier ein. Leise flüstere ich ihm zu „Du fühlst dich wohl ganz wohl in deiner weißen Haut?!“ Jetzt bricht das Wilde in mir erst richtig aus und ich brülle so laut, dass alle im Foyer verstummen. „…-Pack! Ihr glaubt das soll eine Türkentaube sein!? Die hat ja nicht mal einen türkischen Akzent! Sie hat einen arabischen Akzent! Ihr Schweine!!!“ 

Frisierte alte Damen mit Sekt, Herren in fescher Lederweste und Bierchen und mittendrin Uwe Berger stehen wie versteinert da. Manche gucken verschämt in ihr Glas, andere glotzen ängstlich um sich, als würde gleich ein Terroranschlag stattfinden. Jetzt haben sie das echte wilde Berlin kennengelernt. Sollen sie mal beim heimischen Stammtisch etwas zu erzählen haben! Gehobenen Hauptes verschwinde ich durch den Vorhang am Ausgang. Mein Mann hüpft erst etwas später ins Treppenhaus. „Sorry, Liebling, aber ich musste diesen Moment etwas länger genießen. Hast Du ihre Gesichter gesehen?“

Wir fangen an zu lachen und lachen den ganzen Weg nach Hause weiter. Zwischen echten Mülltonnen, echten Türkinnen, echten Tieren laufen wir durch unser wildes Berlin. Das BKA-Theater ist kein wildes sondern ein weißes Berlin. Auch wenn vor seinem Kreuzberger Haus Currywurst und Döner verkauft wird.

Darf man im Theater wirklich alles? Was hätte man gesagt, wenn es noch eine jüdische Ratte mit Pfötchen für Geschäfte und einen dealenden Affen mit Afro-Slang gegeben hätte? Was wäre, wenn meine jüdischen Theaterpuppen alle große Nasen und lange Schläfenlocken hätten und meine türkische Theaterpuppe Aische ein Kopftuch hätte und mit kaputtem Deutsch sprechen würde?

Sorry, aber im Theater darf man nicht alles!  Wenn sich eine Türkin über Türkinnen vor Türkinnen lustig macht, ist es das eine – aber wenn sich eine weiß-deutsche Schauspielerin vor einem weiß-deutschen Publikum über Türkinnen lustig macht, hat das einen Namen.

In den USA ist man längst so weit, dass jede ethnische Gruppe zwar über sich selbst Witze macht, aber zum Beispiel ein Weißer nie einen Schwarzen parodieren würde. Der Begriff dafür ist „Black facing“ und erinnert an die peinlichen, schwarz bemalten weißen Jazzmusiker der 50er Jahre.

Habe ich zu viel über die Türkentaube geschrieben? Es gibt noch diesen polnischen Marder, mit russischem Akzent, der Autobatterien klaut und ebenfalls von Konstanze Kromer gespielt wird. Der Regisseur Denis Fischer und Autor Robert Löhr könnten zu ihrer Rechtfertigung behaupten, dass sie vor keiner Gruppe halt machen. Es ist aber ein Unterschied, ob sich eine Freiburgerin über den elitären Lebensstil süddeutscher Wahlberliner lustig macht oder Polen als Diebe und Türkinnen als unterdrückte, Slang sprechende, fanatische Muslimas darstellt.

Merkwürdig, dass es in diesem Stück keinen einzigen Schauspieler und Schauspielerin mit Migrationshintergrund gibt. Dabei sprießt unsere Stadt vor Künstlern aus allen Himmelsrichtungen. Ein weiß-deutsches Theater hat für sein homogenes Publikum eine Stereotypen-Freak-Parade in Tierkostümen, geschmiedet.

Wie kann es sein, dass ein Weltstadt -Theater in diskriminierungskritischem Umgang mit Kunst noch so rückständig ist? Ich finde Uwe Berger und das ganze BKA-Team sollten sich bei allen türkischen Frauen Berlins entschuldigen.

Und bei den Tauben auch!

 

Dieser Meinungstext hat eine Debatte angestoßen. Die Theater-Macher haben eine Erwiderung geschrieben.

 

Diese Foto wurde und wird unter der Lizenz CC by-SA 2.0 veröffentlicht.

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