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Xavier Naidoo „Muslime tragen den neuen Judenstern“

Für die einen ist Xavier Naidoo Musik  der beste R&B  Deutschlands, für andere die Vertonung von „Nachdenkliche Sprüche mit Bildern„. Das neue Album der Söhne Mannheims hat bisher nicht so sehr wegen der Musik, sondern eher wegen der Texte für Schlagzeilen gesorgt –  und vor allem, wegen der Ideologien, die dahinter stehen. „Xavier Naidoo hat eine Reichsbürgerhymne  geschrieben“ (FAZ), „Xavier Naidoo verankert mit Pop rechtsextremes Gedankengut im Mainstream“ (Kölner Stadtanzeiger). „Xavier Naidoo: Lieder für die braune Jukebox“ (Hamburger Morgenpost).

 
Xavier Naidoo bei seinem Auftritt beim Echo 2016 (Quelle: picture alliance / AP Photo)

Vor allem der Song „Marionetten“ hat dabei für Aufregung gesorgt. Im Jargon von “Pegida” und „besorgten Bürger_innen“ bezeichnet Xavier Naidoo Politiker_innen als „Volksverräter“, übt verkürzte Medienkritik und benutzt Begriffe, die unter sogenannten Reichsbürgern üblich sind. Dazu werden im Song mehrmals antisemitische Argumentationen und Bilder verwendet: Politiker_innen werden zum Beispiel als Marionetten bezeichnet, die von im Hintergrund bleibenden Puppenspielern gesteuert werden. Eine Metapher, die die brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung als „antisemitisches Stereotyp“ bezeichnet.

Der Satiriker Jan Böhmermann hat den Mannheimern in seiner Sendung vom 04. Mai ein Segment gewidmet:

„Marionetten“ wurde zum Tourauftakt der Band am 01. Mai in Mannheim nicht gespielt. Dabei ist der Song längst nicht der einzige des Albums, in dem problematische Ideen vertreten werden. Auch in „Der deutsche Michel“ präsentieren Naidoo und seine Band “Pegida”-kompatible Inhalte.

„Deswegen stell’n wir uns blind, sagen nie, was wir wirklich denken Denn was wenn das nicht stimmt? Wenn was nicht stimmt?Du glaubst doch nicht wirklich, dass unsere Nachrichten nicht nachgerichtet sind?“

Nachrichten sind gefälscht, Lüge und Wahrheit sind in den Medien nicht mehr zu unterscheiden und deswegen kann man ihnen nicht vertrauen. Oder anders: „Lügenpresse“. Naidoo singt die Vorurteile der „besorgten Bürger_innen“. Argumente braucht es dafür nicht; Fragen zu raunen – zu denen Naidoos geneigtes Publikum vermutlich ohnehin schon die Antworten weiß – reicht völlig.

Screenshot einer Rezension auf „Amazon“: Das „aufgewachte Volk“ steht hinter Xavier Naidoo

„Wer schickt die Nachrichten los und in wessen Schoß?Der Schoß, der dich in Sicherheit wiegt, ist vermoostIst so groß, er ist allumfassend und sagenumwobenDoch blickst du in das dazugehörige GesichtWird dir erst bewusst, was für ’ne Fratze es istUnd dass du auf dem Altar liegst und geopfert wirst“

Ein „allumfassendes“ System wiegt den „deutschen Michel“ in Sicherheit, nur damit er später vom gleichen „allumfassenden“ System, dass am Ende unerkennbar bleibt, geopfert wird. Genau wie in „Marionetten“ wird hier mit strukturellem Antisemitismus argumentiert, Der „Michel“ ist das hilflose Opfer, dass von bösen und offenbar uralten Mächten, die im Hintergrund bleiben, am Ende hingerichtet wird.

So ähnlich geht es im Song weiter. Auf unterschiedlichste Arten wird der „deutsche Michel“ offenbar missbraucht und hinters Licht geführt, sei es von Bankern oder  von der Kanzel herab. Immerhin gibt es den Champion des „Volkes“ – Xavier Naidoo persönlich wird es richten:

„Ihr Seelenfresser, eine Warnung an euch:Ich meditiere, höre auf den Wind, weiß, wer ich binGründe, warum ich schlimme Gefahr bedeuteUnd ich schreib‘ mit dem Blut aufs BlattWar es nicht schon immer so, dass ihr gezittert habtVor den Schriftstellern, Künstlern und Musikern?“

Den Song „Nie mehr Krieg“ hat Naidoo eigentlich schon im Dezember 2015 auf der Facebookseite von niemand geringerem als Jürgen Todenhöfer veröffentlicht. Der kündigte das Werk, dass jetzt auch auf „MannHeim“ gelandet ist, so an: „Liebe Freunde, Xavier Naidoo hat mir gestern dieses ergreifende, noch unveröffentlichte Lied geschickt: ‚NIE MEHR KRIEG!‘ Wir posten es heute gemeinsam hier auf Facebook. DENN WIR SIND GEGEN KRIEG!“ (Großschreibung im Original)

Ähnlich tiefgründig fängt Naidoos Song an:

„Ich hab’ gelernt, ich solle für meine Überzeugungen einstehenUnd meinen Glauben nie leugnenWarum soll ich jetzt, nach so langer ZeitDavon Abstand nehmen, dazu bin ich nicht bereit.“

Warum genau Naidoo seinen Glauben seit neuestem leugnen muss, ist nicht klar. Offenbar herrscht ein Religionsverbot, von dem noch niemand etwas mitbekommen hat. Das Behaupten von angeblichen Verboten und Tabus geht in „Nie mehr Krieg“ aber noch weiter und auch Naidoos Vorstellungskraft ist es noch lange nicht vorbei, denn schon in den nächsten Zeilen wird wie nebenbei der Holocaust relativiert:

„Muslime tragen den neuen JudensternAlles Terroristen, wir haben sie nicht mehr gernEs ist einfach nur traurig“

Im Refrain geht es weiter mit alternativen Fakten und Naidoo kann sich als tabubrechender Kämpfer für die Meinungsfreiheit darstellen:

„Nie mehr Krieg, nie mehr KriegWenn wir das nicht sagen dürfen, dann läuft doch etwas schief“

Inwiefern es nicht mehr erlaubt sein soll, Krieg abzulehnen, führt Naidoo dabei nicht weiter aus. Immerhin gibt es in Nachkriegsdeutschland schon seit den 1950ern eine Friedensbewegung, die regelmäßig genau das tut. Auch in Dresden feiern sich jeden Montag wieder Demonstrant_innen dafür, Dinge zu sagen, die man angeblich nicht sagen dürfte. Margarete Stokowski  hat schon 2016 über die „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!“-Mentalität folgendes geschrieben: „Es gibt einen Fetisch des imaginierten Regelbruchs, und dieser Fetisch ist vor allem für Leute interessant, die sich nicht trauen, tatsächliche Regeln zu brechen. Sie tun lieber so, als gäbe es ein Tabu – egal ob aus vorauseilendem Gehorsam oder aus rhetorischen Gründen – und vollziehen dann in einem gefühlten Regelbruch das, was nach außen mutig wirken soll, in Wirklichkeit aber lasch und längst mehrheitstauglich ist. Sie denken, das ist Punk, aber es ist kein Punk. Es ist eher Helene Fischer.“

„Nie wieder Krieg“ gehört seit der Gründung der BRD zu dem, was man selbstverständlich sagen kann. Naidoo suggeriert den großen Tabubruch und macht sich selbst zum Friedenshelden – als wäre die Bundesrepublik eine Militärdiktatur. Trotzdem bilden sich aber durch Statements wie das von Naidoo Stimmungen. Die Zuhörer fangen an, wirklich zu glauben, dass es diese Dinge gibt, die man nicht sagen darf, sagen sie dann und können sich plötzlich als Helden der Meinungsfreiheit fühlen und die Fronten zwischen den vermeintlichen Tabubrecher_innen und dem Rest werden wieder härter.

Mannheim ist mit seinen Söhnen mittlerweile nicht mehr zufrieden. Bürgermeister Peter Kurz (SPD) hat von der Band eine Erklärung für die „antistaatlichen Texte“ verlangt. Schon vor drei Jahren, als Xavier Naidoo auf Demos von Reichsbürgern und der von Beobachtern als antisemitisch eingeordneten „Neuen Friedensbewegung“ auftrat, äußerte sich Kurz: „Ich bedaure diese Entwicklung sehr. Xavier Naidoo ist ein sozial und für die Stadt engagierter und kreativer Künstler. Er stellt sich mit seinen politischen Äußerungen ins Abseits und in die Nähe von Personen, wo er meines Erachtens nicht hingehört.“ Nun soll es „in den nächsten Tagen“ ein Krisentreffen zwischen Bürgermeister und Band geben. Auch die Mannheimer CDU geht auf Distanz, „Kultur kann und darf Kritik üben, aber diese Wortwahl ist nicht vertretbar“, so der CDU-Bundestagsabgeordnete Egon Jüttner „. Die Grünen fordern schon seit Jahren von der Stadt, auf die Zusammenarbeit mit dem Sänger zu verzichten. Dirk Grunert, Grünen-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat sagt zum neuen Naidoo-Skandal: „Niemand leugnet das Recht auf die künstlerische Freiheit, und es können in dem scheinbar von ihnen gehassten System auch die Söhne und Naidoo einen solchen Song produzieren und damit Geld verdienen – allerdings gibt es eben auch das Recht, diesen Songtext und andere zu kritisieren und auf eine Zusammenarbeit mit den Xavier Naidoo und den Söhnen zu verzichten.“

Schon Anfang des Jahres hatte die Grüne Jugend und das Aktionsbündnis „Kein Hass auf Rosenheims Bühnen“ gefordert, den Sänger und seine Band nicht beim Sommerfestival der Stadt auftreten zu lassen. Damals witterte die CSU „Gesinnungsschnüffelei“ und schmetterte den Antrag ab. Ob sich der Stadtrat diesmal anders entscheidet, ist noch nicht bekannt.

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