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YouTube Man redet nicht mit Nazis – auch nicht für Klicks!

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Die YouTuber TomSprm und Ahmed Sharif interviewen einen Neonazi – ohne kritische Einordnung und Richtigstellung von rechtsextremer Propaganda. Erkenntnisgewinn gleich null. (Quelle: Screenshot YouTube, Pixabay, BTN)

In einem YouTube-Video, das Anfang Januar veröffentlicht wurde, interviewt ein muslimischer YouTuber den Dortmunder Neonazi Steven Feldmann. Sie treffen sich in der Emserstraße in Dortmund-Dorstfeld, im sogenannten Nazi-Kiez. Der Neonazi kann hier vollkommen ungefiltert seine rechtsextreme Ideologie verbreiten. Wenige Wochen später fährt ein anderer großer YouTuber, TomSprm, ebenfalls in den Nazi-Kiez, um mit Feldmann zu sprechen. Auch hier: Kein Erkenntnisgewinn, dafür viel gefährliche faschistische und rassistische Propaganda.

Besonders für junge Menschen ist YouTube ein extrem beliebtes Medium. Für viele sind die Kanalbetreiber*innen dabei längst zu Stars geworden. YouTuber*innen sind oft Vorbilder, bester Kumpel, große Schwester und Ersatzeltern in einem. YouTuber*innen sprechen direkt zu ihren Fans und vermitteln ihnen häufig das Gefühl, sie ganz privat zu kennen. Umso problematischer, wenn auf großen Kanälen rechtsextreme Propaganda verbreitet wird.

Anfang Januar veröffentlichte ein 340.000 Abonnenten starker YouTube-Kanal ein knapp 25 Minuten langes Video, in dem der Food-Influencer Ahmed Sharif den Neonazi Steven Feldmann in Dortmund-Dorstfeld trifft. Flankiert wird Steven Feldmann während des Gesprächs vom Neonazi Alexander Deptolla, einer Szenegröße, der das gesamte Treffen zur eignen Absicherung mitfilmt. Deptolla gilt als Hauptverantwortlicher des Neonazi-Kampfsportevents „Kampf der Nibelungen“. Feldmann darf während des gesamten Videos mit einem Werbe-Pullover der rechtsextremen Veranstaltung vor der Kamera posieren.  

Ja, auch einige Neonazis essen Döner

Beim gemeinsamen Döner-Essen kann Feldmann dann so richtig loslegen und seine rassistische Weltansicht ungefiltert wiedergeben. Er spricht darüber, dass man angeblich kaum noch „Einheimische“ sehe. Darüber, dass angeblich beinahe ausschließlich migrantische Jugendliche kriminell seien – er selber hat einige Jahre in Haft abgesessen. Kinder, die sowohl ein deutsches, als auch ein ausländisches Elternteil haben, sieht er als „falsch an“.

Er erzählt ganz offen, dass er für die „Rückführung aller in Deutschland lebenden Ausländer“ ist. Sharif will zwar gerade in seinen Döner beißen, fragt dann aber, ob er auch von Feldmanns gewünschter Rückführung betroffen wäre, er hat schließlich eine libanesische Familiengeschichte. Ja, ist er, wenn es nach Feldmann ginge. Der Neonazi darf dann noch seine rassistischen Ansichten zur Ungleichheit der Kulturen zum Besten geben und den Grad der Andersheit, je nach Region, in dem Feldmann die Menschen verortet.

Das Video befriedigt ein voyeuristisches Verlangen der Zuschauer*innen und es liefert einen Einblick in die Banalität des Bösen. Neues lernen wir dabei jedoch nicht. Alles was über rechtsextreme Ideologie und neonazistischen Lifestyle zu sagen ist, haben bereits unzählige Menschen gesagt und geschrieben, die keine Anhänger*innen rechtsextremer Ideologie sind. Und dann gibt es noch die Möglichkeit, mit Aussteiger*innen aus der Szene zu sprechen. 

In Debatten von 2017 zurückversetzt“

„Bei einigen aktuellen Videos auf YouTube fühlt man sich in Debatten von 2017 zurückversetzt“, so Mick Prinz, Leiter des Projekts „Good Gaming – Well Played Democracy“ der Amadeu Antonio Stiftung. „Es wird wieder darüber diskutiert, inwiefern es sinnvoll ist, mit Rechten zu reden“. 2017 wurde das Buch „Mit Rechten reden – ein Leitfaden“ veröffentlicht. Es sollte eine Art Plädoyer dafür sein, auch mit Antidemokraten und Verfassungsfeinden der sogenannten „neuen“ Rechten in den Dialog zu gehen. So falsch und gefährlich dieser Ansatz schon damals war, so wenig richtig ist er heute im Dialog mit Nationalist*innen. 

Ausgrenzung und keine Diskussion auf Augenhöhe

Immerhin sagt der YouTuber im Abspann, dass „die Ideologie von Steven wirklich sehr schwer zu ertragen“ ist. Trotzdem bleibt die Frage, warum er sich dem Nazi überhaupt ausgesetzt hat und er seinen YouTube-Kanal für die Verbreitung rechtsextremer Ideologie hergegeben hat, ohne diese einzuordnen oder zu widerlegen. Denn eines muss feststehen: Mit Nazis diskutiert man nicht, und schon gar nicht auf Augenhöhe. 

Es hat einen guten Grund, warum die verfassungsfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Publikationen der rechtsextremen Szene in der Regel nicht im Kiosk um die Ecke ausliegen und warum entsprechende Accounts auf Social Media regelmäßig gelöscht werden. Die Verbreitung dieser rechtsextremen Inhalte führt zu einer Normalisierung. Demokratiefeinde und Faschisten glauben nicht an die Gleichwertigkeit aller Menschen. Ihr Verständnis von Volk gründet auf der Annahme von der Reinheit von Blut. Menschen, die solche Ansichten vertreten, dürfen keine gleichwertigen Diskussionspartner sein. Es fehlt schlicht die menschenrechtliche Grundlage.  

Ende Januar erschien dann ein weiteres „Ich bin so mutig und treffe einen Nazi, um mit ihm zu reden, damit ihr das nicht tun müsst“-Video, das allerdings innerhalb weniger Stunden wieder gelöscht wurde, offenbar vom Kanalbetreiber selber. Auch hier spielt Steven Feldmann die Hauptrolle, diesmal in einem anderen „Kampf der Nibelungen“-Pullover. 

Immerhin wurde dieses unsägliche Interview innerhalb kurzer Zeit von dem YouTuber selber gelöscht. V.l.n.r: Sven Skoda, Steven Feldmann, TomSprm (Quelle: Screenshot)

Interviewt wird Feldmann jetzt von YouTuber TomSprm, dessen Kanal hat über 600.000 Abonnent*innen. Insgesamt wurden alle seine Videos über 83 Millionen mal aufgerufen. Der TomSprm veröffentlicht hauptsächlich „satirische“ Straßenumfragen, immer mal wieder mit „witzigen“ Pups-Geräuschen unterlegt, die vor allem junge Menschen ansprechen sollen. 

Man könnte denken, er wäre vielleicht nicht die geeignetste Person, um einen organisierten Neonazi kritisch zu interviewen. Doch auch er trifft sich, angespornt durch das Video von Ahmed Sharif, mit Feldmann in Dortmund.

Hier steht die Frage im Vordergrund, weshalb Feldmann rechtsextrem geworden ist. Spannende Antworten oder irgendeine Erkenntnis liefert auch dieses Video nicht. Dafür nutzt Feldmann die Bühne, um unwidersprochen den Nationalsozialismus glorifizieren, denn was er gehört hat, ist, dass damals Menschen mit ihrer Politik versucht hätten, Deutschland zu helfen. TomSprm möchte dann gerne noch in rechtsextreme Musik reinhören. Und die Neonazis, Feldmann wird dieses Mal von einem halben Dutzend Kameraden begleitet, jammern, dass einige ihrer liebsten Neonazi-Musikstücke verboten sein.

Schließlich darf auch Neonazi-Kader Sven Skoda vor die Kamera, eine Neonazi-Größe aus Westdeutschland. Er bekräftigt: „Wir hassen diesen Staat“. Offenbar vollkommen im Hufeisen gefangen fragt der YouTuber schließlich, ob diese organisierten Neonazis nicht Angst vor der „Gegenseite“ hätten. Diesen Punkt greift Skoda dankend auf, um sich zum Opfer der gewaltbereiten Antifa zu inszenieren, indem er von einem Angriff auf sich erzählt. Die täglichen rechten Übergriffe werden hingegen an keiner Stelle erwähnt.

„Creator*innen bauen Talk-Formate auf, in denen rechtspopulistische oder rechtsextreme Aussagen als vermeintlich legitim dargestellt werden“, so der Plattformbeobachter Mick Prinz. „Kritische Einordnungen oder Schutz von Betroffenen sucht man häufig vergebens.“

Die große Frage, die bleibt: Warum? Warum muss man einem Neonazi, mit Neonazi-Ideologie eine Plattform bieten? Welchen Mehrwert liefern solche Videos? In diesen beiden Fällen: Keinen. Zwar bringen solche Videos den Contentcreator*innen vermutlich Klicks, doch sie richten unheimlich viel Schaden an. Denn der Wunsch, mit solchen Videos rechtsextreme Ideologie zu entzaubern, scheitert, stattdessen können die Neonazis ihre Propaganda ungefiltert verbreiten und machen sie in Teilen salonfähig.

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