Meist sitzt Tim Kellner vor einer Wand, an der Merchandise-Artikel von ihm hängen, dazu drei Samuraischwerter. Der 1974-Geborene hat einen weißen Rauschebart, lange, zurückgegelte Haare und ein beeindruckend breites Kreuz. Er schaut direkt in die Kamera und spricht im Internet über das Weltgeschehen – jeden Tag aufs Neue. Wen das interessiert? Seine Videos haben im Monat mehrere Millionen Views. Im Juni 2019 wurden seine Videos auf YouTube gar 6,2 Millionen Mal angeklickt. Viele YouTuber verdienen so ihr Geld. Allerdings sind die Inhalte der Videos alles andere als normal. Tim Kellner, der Mann mit Bodybuilder-Körper, bedient sein Publikum mit Rassismus der ganz üblen Sorte. Kellner spricht von „Opfern der merkelschen Willkommenskultur“ und bezeichnet sich selbst als „bekanntes Mitglied im rechtsstaatlichen deutschen Widerstand gegen das Merkel-Regime“. Wie kommt er dazu?
Wer ist Tim Kellner?
Kellners Vorfahren kommen aus Ostpreußen. In seinen Augen waren sie noch „richtige Flüchtlinge“, während er die heutigen Geflüchteten als „Invasionsarmee“ bezeichnet. Nach Eigenangaben hat er in der Bundeswehr gedient. Nach dem gescheiterten Versuch, sich als American Football-Profi zu etablieren, absolviert Tim Kellner zunächst eine Banklehre. Im Jahr 2000 bewirbt er sich für den Polizeidienst. Er will zum Spezialeinsatzkommando, der Elitetruppe der Behörde. Die Aufnahmeprüfung besteht der durchtrainierte Sportler, die Ausbildung bricht er jedoch ab und wird Kreispolizist in Lippe.
Über sein Leben hat Kellner 2011 ein Buch verfasst. Hierin beschreibt er, dass er sich als Polizist mit einem Mitglied der „Hells Angels“ anfreundet. Kellner „entwickelt Sympathien für die Lebensweise der Rocker, lässt sich zum ersten Mal ein Tattoo stechen und gerät dadurch ins Zwielicht“, schreibt die haz 2011. Kellner kam seither „regelmäßig in Schwierigkeiten“ mit seinen damaligen Polizei-Kolleg*innen, er selbst nennt es „Mobbing“. Sein Rocker-Kumpel wird wegen des Kontakts mit einem Polizisten aus dem Chapter ausgeschlossen. Kellner findet das unfair. Eines Tages will Kellner angeblich in Erfahrung gebracht haben, dass der Präsident des Bielefelder Hells Angels-Chapters angeblich als V-Mann für die Polizei tätig sei. Deshalb, so folgert er, habe der seinen Rocker-Kumpel und ihn aus dem Club haben wollen – um nicht enttarnt zu werden.
Kellner saß sieben Monate in Untersuchungshaft
Wegen seiner Kontakte ins Rockermilieu ermittelt währenddessen auch die Polizei gegen Kellner. Die Vorwürfe gegen ihn lauten: Förderung der Prostitution, gefährliche Körperverletzung und versuchte schwere räuberische Erpressung. Das hätte bei einer Verurteilung für eine Gefängnisstrafe von mindestens acht Jahren gereicht. Kellner kommt nach sieben Monate in Untersuchungshaft mit einer Bewährungsstrafe von neun Monaten wegen Körperverletzung davon. Während Kellners Zeit hinter Gittern entsteht sein erstes autobiografisches Buch. Er stellt sich hier als Opfer einer Polizei-Intrige dar – seiner Meinung nach saß er unschuldig hinter Gittern, da er nur einer Prostituierten aus den Fängen ihres Zuhälters befreien wollte. Ein Eingeständnis, selber gravierende Fehler begangen zu haben, weil er sich beispielsweise als Polizist bewusst mit Leuten aus dem kriminellen Milieu umgeben hat, findet sich auf den 336 Seiten seines ersten Buches nicht.
Nach Erscheinen des Buches schaffte Kellner es einige Male in die Medien. In seinem Buch schreibt er, dass er auf Grund seiner Prostitutionseinnahmen 35.000 Euro Steuern an den Fiskus nachzahlen muss. Der nach seiner Haft suspendierte Polizist schreibt weitere Bücher und versucht sich an verschiedenen Geschäftsmodellen. Seit Dezember 2017 bekommt Kellner auch keine Bezüge mehr von der Polizei, so eine Pressesprecherin gegenüber Belltower.News. Vom kriminellen Milieu lässt Kellner aber offenbar nicht die Finger: 2015 finden Polizeibeamte bei einer Hausdurchsuchung eine scharfe Neun-Millimeter-Patrone. Kellner behauptete, Polizist*innen hätten ihm die Patrone untergeschoben. Das Amtsgericht Detmold verurteilt Kellner 2015 wegen fahrlässigen unerlaubten Waffenbesitzes zu 800 Euro Strafe, so das Westfalen Blatt.
Vorbestrafter Biker spricht angeblich für die Mitte der Gesellschaft
Im selben Jahr gründete Kellner den 1%-Motorradclub Brothers MC Germany mit. 1% oder „Onepercenter“ ist eine Selbstbezeichnung von Rockern, die ihren Lebensstil ohne Rücksicht leben wollen. In der Regel kann nicht jeder Motorradclub dieses Abzeichen tragen, man muss sich vorher eine Genehmigung des führenden MC’s einholen. Wenn Biker dieses 1%-Abzeichen an ihren Kutten tragen, bedeutet es, dass sie gesetzlos seien, ohne Rücksicht auf Gesellschaft und Rechtsstaatlichkeit. Dieses 1%-Patch auf Kellners Kutte passt dann aber nicht so ganz mit seiner Behauptung zusammen, er würde für die bürgerliche Mitte der Gesellschaft sprechen.
2017 trennt sich der MC von Kellner. Sie werfen ihm vor, angeblich Biker-Brüder durch zwielichtige Geschäftsmodelle über den Tisch gezogen zu haben. Kurze Zeit später ist Kellner Präsident des Biker-Chapters Brothers MC Salt City, auch ein 1%-Club. Laut Eigendarstellung gründete sich der MC Salt City im Jahr 2015 und hat seinen Sitz in Horn in Ostwestfalen-Lippe. Laut Lotta Magazin legt Kellner Wert darauf, dass er einen deutschen Club führt, in dem nur Menschen „aus dem westlichen Kulturkreis, keine Migranten, keine Moslems“ Mitglied werden können.
Anfang 2016 begann Kellner dann seine Aktivitäten in der rechten Szene. Auslöser waren möglicherweise die Geschehnisse auf der Kölner Domplatte in der Silvesternacht 2015, so gibt er es zumindest an. Ob Kellner wirklich erschüttert ist oder nur eine willkommene PR-Aktion für sich und seinen MC sieht (der Biker-Club schaffte es in die Medien, weil sie als rechtspopulistische Bürgerwehr patrouillierten), weiß nur er. Jedenfalls interessieren sich Menschen für seine Meinung. Zunächst konzentrierte sich Kellner auf seine eigene Facebook-Seite, hier hat er 256.000 Abonnenten (Stand September 2019). Seit 2017 verbreitet er seine Hetze zusätzlich auch auf YouTube – leider erfolgreich: Im Juni 2019 wurden seine Videos 6,2 Millionen Mal angeklickt. Und dies, obwohl die Aufmachung wenig spektakulär ist: Kellner spricht in die Kamera.
Von Facebook zu YouTube
Doch Kellner hat die YouTube-Logik verstanden: Beinahe täglich veröffentlicht der Rocker Videos auf der Plattform. Das gefällt YouTube. Hier werden Accounts besser ausgespielt, die stetig Videos mit mehreren hunderttausend Views produzieren, das zählt reichweitentechnisch mehr als einzelne Hochglanz-Inhalte. Und so hat sich Kellner einen veritablen Abonnenten-Stamm aufgebaut: 166.000 User*innen haben seinen Kanal abonniert (Stand September 2019).
In süffisanter Art und Weise spricht Kellner täglich von den Themen, die die rechte Sphäre umtreiben, sei es über Angela Merkel, die er als „Schlepperkönigin“ bezeichnet, die „heilige Greta“ (Thunberg), „Carola ‚Jesus‘ Rakete“ oder über den „System-Komödianten“ Jan Böhmermann. Was beinahe allen seinen Videos gemein ist, ist Rassismus. Flüchtlinge, Muslim*innen, Feminist*innen und weitere Gruppen werden von Kellner in seinen Videos regelmäßig dehumanisiert. Auch Menschen, die er als politische Gegner*innen verordnet, bezeichnet er als „unmoralischen Abfall“. 2018 gründete Kellner zudem noch die unabhängige politische Liste „Für Die Eigenen“. In den Leitsätzen spricht „Für die Eigenen“ vom „System Merkel, das aus Deutschland quasi eine DDR 2.0 gemacht hat.“ Kellners „Liste“ soll aber keine Partei darstellen, sondern eine „Sammlungsbewegung“, die eine “außerparlamentarische Opposition” darstelle. Ziel: „Wir wollen eine gewichtige Kraft im Internet werden. […] Für die Eigenen will eine politische Gegenbewegung zu dem herrschenden System werden.“
Kellner befriedigt die Sehnsucht nach der klassischen Männlichkeit
Was macht Kellner so erfolgreich? Kellner kommentiert das Weltgeschehen in seinen Videos meist auf ironische Weise. Das macht die politischen Inhalte seiner Videos einem großen Publikum zugänglich, weil es unterhaltsam und nicht trocken wirkt.
Außerdem verkörpert Kellner in seinem Auftreten und mit seiner Vergangenheit ein Bild von traditioneller Männlichkeit. Der Bodybuilder, der erst beim Bund, dann bei der Polizei und schließlich Präsident eines 1%-Motorradclubs ist, scheint für viele Menschen eine bewundernswerte Verkörperung von Männlichkeit zu sein. Gerade in rechtspopulistischen und rechtsradikalen Kreisen sind Aktivist*innen der Meinung, beinahe alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens seinen durch Frauen „feminisiert“, was auch zu einer angeblichen „Verweichlichung“ der Männlichkeit führe. In Kellner sehen sie einen „gestandenen“ Mann, der sagt was er denkt und sich durch nichts und niemanden einschüchtern lässt.
Kellner inszeniert sich zudem als „Mann des Volkes“. Er versucht erst gar nicht erst, sich als Intellektueller auszugeben, wie die Autor*innen neurechter Medien, und tritt auch nicht mit übertriebenem Pathos als politischer Aktivist in Erscheinung. Er sitzt einfach lässig und zurückgelehnt in einem Stuhl und kommentiert mal witzig, mal empört, doch immer etwas plump, das Weltgeschehen.
Parasoziale Beziehungen zum Zuschauer
„Genau wie Beauty-Influencer überzeugen Politblogger durch parasoziale Beziehungen zum Zuschauer. Sie zeigen sich im Privatleben und bauen so Vertrauen auf“, sagt Miro Dittrich, der für die Amadeu Antonio Stiftung das Monitoring betreibt und dabei auch die rechte YouTube-Szene analysiert. Dabei beobachtet er nicht nur, wie sich das Publikum solcher Kanäle radikalisiert, sondern auch, wie die YouTuber selbst immer radikalere Ansichten vertreten und aussprechen.
Mittlerweile hat sich der umtriebige Kellner eine eigene alternative Video-Plattform aufgebaut: „Prometheus Deutschland“. „Prometheus“ ist ein Sendestudio, in dem Tim Kellner unter anderem eine „tägliche Prometheus-Tagesschau“ präsentieren möchte. Gehostet sei die Plattform auf einem russischen Server: „Es wird das Bollwerk für unsere freie Meinungsäußerung sein und es wird ein ganz wichtiger Beitrag sein für den rechtsstaatlichen Widerstand“.
Hier könne er angeblich „komplett frei sprechen“ und müsse keine Sorge haben, dass er zensiert würde, so Kellner in seinem ersten Video auf dieser Plattform. Hier könne er endlich sagen, dass Deutschland „eine große Invasionsarmee“ beheimate, deren Anführerin in Berlin sitze. Diese Armee sei in unsere Sozialsysteme einmarschiert und habe unsere „Wege und öffentlichen Plätze bereits vereinnahmt.“ Was Kellner damit impliziert? „Die Deutschen“ müssten Widerstand leisten, weil eine feindliche Armee versucht uns zu übernehmen.
Rechtsradikale Weltsicht: Die Bösen, das sind immer die Juden, auch bei Kellner
Wenn man sich rechtspopulistische und rechtsradikale Welterklärungsansätze anschaut, dauert es meist nicht lange, bis man auch auf antisemitische Erzählungen stößt. So auch bei Kellner. Er meint etwa, Angela Merkel bereite einen Krieg gegen das „Deutsche Volk“ vor. Wer letztendlich dahinter stecke? Der Allzweck-Bösewicht in der rechten Sphäre, der jüdische Milliardär George Soros. Soros gilt für viele rechte Verschwörungsideolog*innen als Symbol einer gierigen Finanzelite, die ohne Rücksicht auf Verluste nur auf ihren eigenen Gewinn bedacht sei. Zudem sei er der Kopf der „Neuen Weltordnung“ (NWO), der angeblichen Verschwörung zur Unterwerfung der Menschheit durch eine imaginierte totalitäre Weltregierung, die durch eine globale Elite kontrolliert wird. Die NWO ist für Verschwörungsideolog*innen der böse Masterplan, der hinter allen Verschwörungs-Erzählungen steht.
„Es gibt mittlerweile nur noch zwei Strömungen auf diesem Planeten. Die eine wird angetrieben von Kräften, welche für offene Grenzen stehen, für Multikulti, für die grenzenlose Macht der Konzerne und auf der anderen Seite stehen die Nationalstaaten die ihre Kulturen ihre Identität bewahren wollen und dies ist beispielsweise ein Trump, ein Putin, mittlerweile die meisten europäischen Staaten und auf der anderen Seite, wie ich eben schon sagte, das amerikanische Ostküsten Establishment, bisher vertreten durch Obama und Hillary Clinton, welche nur noch in Europa sowohl den Rothschild-Steigbügelhalter Macron haben und eben eine Angela Merkel […], die alles dafür tut, dass der Nationalstaat abgeschafft wird.“ Das ist deutlich.
Letzte Konsequenz solcher Herzte ist Gewalt
Mal offen, mal weniger offen spricht Kellner von einem Krieg gegen das deutsche Volk. Flüchtlinge sind für ihn Kriminelle und eine Armee von feindlichen Invasoren, die es zu bekämpfen gelte (in den Videos hängen oft Samurai-Schwerter im Hintergrund). Solche Erzählungen rufen impliziert zu Gewalt auf. Spätestens seit der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ist hinlänglich bekannt, dass Internet-Hetze Zuschauer*innen bis zum Mord radikalisieren kann. Das ist dem Ex-Polizisten nun aber offenbar egal.