Mit nölig-herablassender Stimme erklärt er seinen gut 40.000 YouTube-Abonnent:innen, wieso die Moderne schlecht und Faschismus gut ist. Nicht so platt formuliert natürlich, denn der „Schattenmacher“ hält sich für einen wichtigen kontemporären Vordenker des Rechtsintellektualismus.
Ende 2016 begann der „Schattenmacher“ seine rechte Influencer-Karriere mit einem Video, das gegen den progressiven Comedian Moritz Neumaier gerichtet war. Damals noch mit Computerstimme, aber immerhin schon mit jenem bemüht überlegenen Duktus, der zum Markenzeichen des YouTubers werden sollte. Es folgten weitere Videos, immer wieder gezielt gegen Einzelpersonen gerichtet – der Moderator Rayk Anders, die Autorin Sibylle Berg oder die Publizistin Margarete Stokowski.
Als hochtrabender Rechtsintellektueller, der sich lieber als Ideengeber sieht, denn als das prügelnde Fußvolk, verkneift er sich Aussagen im Stil von „Das Boot ist voll“ oder „Wir werden sie jagen“ lieber, zumindest im öffentlichen Diskurs. Stattdessen: pseudointellektuelle Begründungen, wieso Amokläufer oder Rechtsterroristen unter Umständen gar nicht so Unrecht haben, wieso Rassismus eine vernünftige Sache und wieso jede Person, die sich nicht für den Faschismus begeistern lässt, ein degenerierter „Cuck“ ist – ein Schimpfwort innerhalb der Alt-Right, um den politischen Gegner als entmannten, verweichlichten Verräter der weißen Rasse darzustellen.
Auf YouTube nichts Neues: Rassismus, Antifeminismus, Antimoderne
DieVideos des „Schattenmacher“ behandeln primär den Verfall der westlichen Welt aus den sattsam bekannten Gründen – Feminismus, Migration, Kulturmarxismus und natürlich der allgemeinen Rückgratlosigkeit der Durchschnittsbevölkerung. Sein Gesicht zeigt er dabei nicht, stattdessen, passend zum Namen, eine im Halbdunkel liegende Silhouette.
Dass der „Schattenmacher“ ein Mann ist, der sich gerne selbst reden hört, zeigt sich nicht nur an stellenweise zwei Stunden andauernden Videos, sondern vor allem der Länge seiner Podcasts. Eine Folge des Podcasts „Honigwabe“, der von den beiden semiprofessionellen Trollen Aaron „Shlomo Finkelstein“ P. und Kaspar „Idiotenwatch“ gehostet wird und in dem der „Schattenmacher“ mit dem Verschwörungsideologen Gunnar Kaiser spricht, dauert ganze fünf Stunden, ein anderer, ebenfalls im Rahmen der „Honigwabe”, sogar acht.
Weitere Kooperationen erfolgten unter anderem mit dem neurechten Propagandablättchen „Krautzone“, dem Identitären Christian „Outdoor“ Illner, oder dem rechtsextremen Medienportal „FSN – The Revolution“ des Neonazis Patrick Schröder. Besonders wissbegierige Fans können sich die vulgärphilosophischen Thesen des „Schattenmachers“ im Rahmen der „GegenUni“ anhören, ein Projekt des Sezession-Autors Erik Ahrens mit dem Ziel, Wortführern der extremen Rechten ein paar Euro mehr in die Taschen zu schleusen.
Nebenbei betreibt der „Schattenmacher“ einen Telegram-Kanal mit knapp über 5.000 Abonnent:innen, der sich neben Werbung für seine Projekte durch Hate Speech auszeichnet, Werbung für Bitcoin-Investitionen und den konkreten Aufrufen, Personen zu belästigen. Auf dem Kanal reproduziert er außerdem Narrative der „Querdenken“-Bewegung und fragt seine Gefolgschaft, ob diese „gewaltsame Aktionen von Protestanten“ (sic) befürworten würden – die Mehrheit sagt „ja“.
Auch grenzüberschreitende Gedichte schreibt der „Schattenmacher“. Anhand simpler Paarreime suggeriert er beim Publikum naheliegende Worte, um dann doch etwas anderes zu sagen. Das Publikum und er selbst wissen jedoch wohl, was gemeint ist. So lässt er in einem Gedicht die Interpretation offen, er wolle die Politikerinnen Merkel, Nahles und Roth sowie alle Grünen, Roten und Herrn Maas sofort ins Gas schicken, ohne die Zeile komplett ausschreiben zu müssen. Auch der YouTuber Ordenbandit, mit dem wir ein Interview geführt haben, hat sich dem Gedicht angenommen.
Die Ideologie eines Trolls
Solidarität oder Empathie sind für den „Schattenmacher“ die naiven Lächerlichkeiten von „Gutmenschen“: „Wenn ‚humanitär‘ draufsteht, dann steckt euer Geld drinnen, um letztendlich Verwendung zu eurem Nachteil zu finden“, schlaumeiert er in einem Video über Geflüchtetenpolitik. In der Welt eines Protofaschisten wie dem „Schattenmacher“ ist der Mensch dem Menschen ein Wolf, und das ist auch gut so: Der Kampf ist es letztendlich, was den Charakter stärkt, das hat er sich eifrig von seinen Vorbildern wie Nietzsche oder Jünger abgeschaut.
Aus diesem Kampf gehen wiederum Charaktere wie er hervor – der intellektuelle Übermensch, der hierarchisch auch weit über dem „Normie“, also dem Durchschnittsbürger, angesiedelt ist. Dies zeigt sich schon in seinem Sprechen und Schreiben über die eigene Person: Er sieht sich als „größter und letzter seiner Ahnen“ oder „gütiger Herrscher“ seiner Fans. Dass es sich hier um einen selbstironischen Witz auf die eigenen Kosten handelt, kann angesichts des üblichen selbstherrlichen Contents guten Gewissens ausgeschlossen werden.
Die Masche der neurechten Metadiskurse ist die Selbstinszenierung als unerschrockener Tabubrecher gegen den feigen, linksgrünen Mainstream, der sich aufgrund von „politischer Korrektheit“ nicht mehr traut, etwas gegen den Verfall unserer Gesellschaft zu sagen. Dafür ist der „Schattenmacher“ ein Paradebeispiel: wiederholendes Moment ist das Abarbeiten an der bürgerlichen Mitte und Rechten, die ihm ausnahmslos „Cucks“ und zahnlose Kuscher vor der linken Meinungshegemonie sind. Doch zum Glück gebe es ihn, den „Schattenmacher“, und seine Welterklärungen.
Bilder von im Meer ertrinkender Flüchtlinge veranlassen ihn dazu, „lautes Lachen unterdrücken“ zu müssen, „mitleidige Regungen“ sind generell eher selten sein Fall. In einem Video zu Ted Bundy knallt er dem moralinsauren Mainstream vor den Latz, dass der US-amerikanische Massenmörder ein Vertreter des „radikalen Subjektivismus“ gewesen sei und dass die Prämisse, genau das zu tun, was man wolle und für richtig erachte, die vernünftige Lebensphilosophie sei. Wenn das eigene Handeln andere in ihrer Freiheit oder ihrem Leben einschränkt, dann ist das eben so. „Der einzige moralische Standard, den ich auf der Welt akzeptiere, ist mein eigener Wille […] Wenn du eine Vorstellung von der Welt hast, dann suche Verbündete und fange an, größere Panzer zu bauen, als die, die in eine andere Sicht der Dinge haben“, sagt er etwa in einem YouTube-Video. Auch hier reproduziert er die klassisch faschistische Weltsicht eines immerwährenden Kampfes als idealem Daseinszustand.
White Supremacism für die Mittagspause
Ein besonders wichtiger Punkt ist dem „Schattenmacher“ die Behauptung, der Mensch sei durch Herkunft und Biologie determiniert. In einem Video spricht er über die „Realität von Rassen“. Diese anzuerkennen, sei eine wissenschaftliche Notwendigkeit, die aber aufgrund gesellschaftlicher Moralvorstellungen sanktioniert würde. Seine Lösung lautet die „Einführung ethnischer Zielquoten“ – also Geburtenkontrolle. Der Mensch sei durch die Natur determiniert und müsse „demütig damit umgehen lernen“, anstatt sich über sie hinwegzusetzen. Diese rassistische und sozialchauvinistische Grundlage legitimiert weiße Herrschaft über nichtweiße Menschen.
Die Rationalisierung seines Hasses auf Nichtweiße im Allgemeinen und Geflüchtete im Besonderen zieht sich wie ein roter Faden durch die Videos. Dass Geflüchtete aus einer Notsituation heraus Schutz suchen, ist für ihn eine Falschbehauptung. In einem Video evoziert er zuerst das Bild eines „notleidenden Menschen“, fordert seine Zuschauer:innen auf, deren „Leid zu visualisieren“. Und sagt dann: „Und dann vergessen wir den ganzen Scheiß und schauen uns an, wer wirklich gekommen ist“.
Für ihn sind Geflüchtete, das macht er deutlich, sexuell übergriffige, enthemmte junge Männer, die nach Europa gereist sind. Das deutsche Asylsystem, durch das immer wieder barbarische Abschiebungen in Kriegsgebiete durchgesetzt werden und dessen Verteidigung regelmäßig Menschenleben kostet, ist dem guten deutschen „Schattenmacher“ nicht hart genug und biete seiner Ansicht nach viel zu viele Möglichkeiten zum Missbrauch durch Geflüchtete, die anschließend Gewalt an deutschen Kindern und Frauen verüben würden. Hierfür wählt er gezielt Beispiele von durch Geflüchtete begangene Gewalttaten aus und suggeriert, diese seien exemplarisch für Geflüchtete generell, und hätten durch rigide Grenzpolitik verhindert werden können. Dass der Löwenanteil von Femiziden oder Morden an Kindern von Männern aus deren Nahumfeld verübt wird, verschweigt der Video-Aktivist dann geflissentlich.
Interessant ist hier ein Gespräch zwischen dem „Schattenmacher“ und „einer promovierten Biowissenschaftlerin“, die jedoch auch lieber in der Anonymität verbleiben möchte. Über 90 Minuten folgt eine Aneinanderreihung rassistischer Klischees: Vorurteile seien evolutionär bedingt. Die Fähigkeit zur Demokratie sei an den Intelligenzquotienten geknüpft – es sei also nicht verwunderlich, dass in Nordeuropa Menschen sowohl eine stabile Demokratie, als auch einen hohen IQ hätten. Jedoch fände in unserer momentanen Gesellschaft „eine Selektion gegen Intelligenz“ statt, Schuld daran hätte die Migrationspolitik. „Die [daraus resultierende] Veränderung des Genpools in unseren Breitengraden“, also eine ethnisch und kulturell diverse Gesellschaft, würde sich negativ auf die gesamtgesellschaftliche Intelligenz auswirken, so die Gesprächspartnerin des „Schattenmachers“, er stimmt ihr begeistert zu. Zusammenfassend wird also darüber diskutiert, dass man seine Rasse gefälligst rein zu halten habe, ein Klassiker nationalsozialistischer Ideologie.
Frauen und Incels
Auch bei Frauen spielt für den „Schattenmacher“ biologischer Determinismus eine Rolle. Dass Frauen nicht mit Incels schlafen, sei Beweis für die Tatsache, dass Begehren genetisch verortet sei. Incels hätten somit recht in ihrer Frustration über die eigene Sexlosigkeit. Auch wenn er Incels kritisiert und ihre nihilistische Weltsicht nicht teilt, findet er auch Lob für ihr „pessimistisches Beharren“, „es gäbe schlicht unveränderbare biologisch determinierte Sachverhalte, die eine wesentliche Rolle im Liebesleben der Menschen spielen, der romantisierten Verklärtheit und verleugneten Heuchelei unserer Öffentlichkeit etwas Derbes entgegensetzen“. Die schwarze Pille – eine Anspielung auf die Ideologie der Incels – sei „keine Lüge“.
Seine Hauptkritik an dem Incel-Attentäter Elliot Rodger beläuft sich übrigens darauf, dass dieser zu viel Zeit in lethargisches Gejammere investiert hätte, anstatt den politischen Kampf zu führen oder, wie der „Schattenmacher“ in einem anderen Video stark macht, sich der leiblichen Ertüchtigung zu widmen.
Verständnis für Terroristen
Nicht nur für Incels, sondern auch für Rechtsterroristen zeigt der „Schattenmacher“ Verständnis. Der Attentäter von Christchurch, der im März 2019 51 Menschen muslimischen Glaubens ermordete, um gegen den „Großen Austausch“ vorzugehen, ist für den „Schattenmacher“ ein wütender junger Mann, der sich angesichts der Bedrohung seiner Rasse und Kultur einfach nicht anders zu helfen weiß, als einen rassistisch motivierten Massenmord zu begehen. Seine größte Kritik lautet, dass das Manifest des Täters intellektuell zu wenig Stringenz aufweise.
An dem ebenfalls rassistisch motivierten Attentat von Hanau trägt für den „Schattenmacher“ übrigens nicht der Täter oder eine strukturell rassistische Gesellschaft in Deutschland Schuld, sondern die Opfer selbst. Denn dass junge Migranten sich als „Gangster-Rapper“ inszenieren oder in Shisha-Bars zu Gast sind, das begreift er als Ursache des „Ekels“ vor Nichtweißen, den der Mörder von Hanau empfunden hat. Auch der Attentäter von Hanau sei kein Rassist, sondern von „Ungerechtigkeit und Ohnmacht“ getrieben, außerdem psychisch krank und deswegen auch nicht so richtig zurechnungsfähig.
Dies offenbart übrigens unfreiwillig einen sehr bezeichnenden Einblick in die Psyche von Rechtsextremen: um den eigenen Hass auf das „Fremde“ vor sich selbst legitimieren zu können, muss eine Täter-Opfer-Umkehr stattfinden. Rechtsextreme sehen sich selbst als aufrechte Kämpfer gegen eine – imaginierte – Bedrohung gegen das deutsche Volk, das sie mit YouTube-Videos oder der Waffe glauben, verteidigen zu müssen. Dass Migrant:innen in der Regel aufgrund der Nachwirkungen kolonialistischer Gewalt und Ausbeutung nach Europa geflohen und hier systematischer Unterdrückung und Rassismus ausgesetzt sind, das verleugnen sie.
Gekränkte weiße Männer
Zum Glück ist der Schattenmacher ein anonymer YouTuber mit nur mittlerer Abonnent:innenzahl. Dennoch ist es notwendig, sich vor Augen zu halten, dass sein Material vor allem eine Bevölkerungsgruppe ansprechen und radikalisieren soll: gekränkte, weiße Männer in der Krise. Ihnen wird ein faschistisches Männlichkeitsideal als Alternative zu einer angeblich feminisierten und multikulturellen Gesellschaft angeboten. Das Ansehen der Videos soll eine Identifikation mit der vermeintlichen Überlegenheit des „Schattenmachers“ gegenüber dem gutmütigen, verweichlichten Durschnittsmenschen hervorrufen. Internetplattformen wie YouTube sind zu einem der wichtigsten Werkzeuge rechtsextremer Radikalisierung und Kulturpolitik geworden, weswegen es eine zwingende Notwendigkeit ist, gerade dort gegen menschenfeindliche Inhalte vorzugehen, sei es durch Gegenrede oder Deplatforming. Dies erschwert nicht nur das Verbreiten rechtsextremer Propaganda, sondern gibt im besten Falle auch den „Schattenmacher“-Abonnent:innen mehrere Stunden Lebenszeit zurück.