Lesen Sie hier den ersten Teil dieses Artikels.
Die Strategie der Umarmung des rechtsextremen Flügels hat Alice Weidel perfektioniert. Wollte sie 2017 auch gegen den Willen von Jörg Meuthen den thüringischen AfD-Vorsitzenden Björn Höcke noch ausschließen, wechselte sie schnell die Fronten und positionierte sich fortan Flügelnah. Nach Informationen des Spiegels schlossen, auf Vermittlung des strategischen Vordenkers der „neuen“ Rechten Götz Kubitschek, Weidel und Höcke ein Bündnis, sich gegenseitig nicht mehr öffentlich anzugreifen. Weidel wisse längst, „dass die Partei Björn Höcke und sein Netzwerk nicht abschütteln kann, ohne Schaden zu nehmen“, sagte Kubitschek 2019 dem Spiegel. Im September 20019 trat die Fraktionschefin dann sogar bei der „Sommerakademie“ von Kubitscheks Institut für Staatspolitik (IfS) auf, einer Kaderschmiede des rechtsextremen Teils der sogenannten „neuen“ Rechten.
Im Februar 2020 wurde Alice Weidel in einer Kampfabstimmung zur neuen AfD-Chefin in Baden-Württemberg gewählt. In ihrer Antrittsrede beschwor sie die Einheit der Partei in sehr ähnlicher Wortwahl wie ihr Kontrahent Meuthen Jahre zuvor beim Kyffhäusertreffen. Der Flügel müsse mittel- bis langfristig eingebunden werden als Partner. „Der Flügel ist eine ganz wichtige Strömung innerhalb der Partei“, so Weidel. Ausdrücklich lobte sie Björn Höcke in ihrer Rede. Dass dieser 180 Grad-Kurswechsel keine inhaltliche Neuorientierung von Weidel ist, sondern ein rein machtstrategischer Schachzug gilt auch innerhalb der Partei als ausgemacht. Daher verwundert auch die neueste Wendung wohl wenige.
Im Herbst 2021 ging Weidel plötzlich wieder auf Konfrontationskurz mit dem rechtsextremen Flügel und zumindest auch indirekt mit Björn Höcke. Wohl wesentlich auf Betreiben von Alice Weidel beschloss der AfD-Bundesvorstand den baden-württembergischen Ableger der rechtsradikalen Betriebsgruppe „Zentrum Automobil“ auf die sogenannte Unvereinbarkeitsliste der Partei setzen zu lassen. Diese regelt, welchen extremistischen Organisationen AfD-Mitglieder nicht angehören dürfen. Randnotiz: Weidels Gegenspieler, Bundessprecher Jörg Meuthen, selbsternannter Vorkämpfer gegen „rechte Umtriebe“ in der Partei enthielt sich. Der Vorstoß Weidels richtete sich aber wohl in erster Linie nicht gegen Höcke und den rechtsextremen Flügel, sondern gegen ihren innerparteilichen baden-württembergischen Kontrahenten Dierk Spaniel, der „Zentrum Automobil“ hofiert. Andere in der Partei vermuten, dass sich Weidel nach dem Abgang von Meuthen, Sympathien bei den Kontrahent:innen des rechtsextremen Parteiflügels zurückgewinnen will. Seit Monaten gibt es Spekulationen, ob Weidel auf den Parteivorsitz spekuliert. Sie gilt in der Partei jedoch nicht als besonders beliebt und sei nicht willig oder in der Lage, die Fraktion gut zu führen. Dazu belastet sie die Parteispendenaffäre.
„Flügel“-Strategie
Für die führenden Köpfe des formal aufgelösten Flügels spielen Strategieüberlegungen eine wesentliche Rolle. In ihren Reden sind häufig die Anschauungen und Positionen des „neu“-rechten Institut für Staatspolitik (IfS) stark vernehmbar, ganz so als hätte Kubitschek mitgeschrieben. So betont Hans-Thomas Tillschneider, Abgeordneter im Landtag von Sachsen-Anhalt und führender Kopf der extremen Rechten in der AfD, frei nach der Devise „unsere Zeit wird kommen“, dass man Geduld haben müsse. Im jetzigen Zustand sei die AfD zu kaum besseren Wahlergebnisse in der Lage. Zwar habe „der Krieg gegen die eigene Partei“ durch Meuthen und die Weigerung von Meuthen, Weidel & Co die AfD zum parlamentarischen Arm von „Querdenken“ zu machen, der Partei schwer geschadet, doch das Potential für die AfD sei noch sehr limitiert. Dies gelte es zu ändern. Die AfD müsse zu einem Sammelbecken für außerparlamentarische Bewegungen aufgebaut werden: „Künftige Protestwellen dürfen nicht über uns hinweggehen, wir müssen sie aufsammeln“, so Tillschneider. Die Köpfe des formal aufgelösten Flügels sind sich weitgehend einig, was es jetzt bedarf: Ideologieaufbau und Einbindung von politisch nahstehende Vorfeldorganisationen. „Wir brauchen die Patrioten, wir brauchen die Netzwerke, die kleinen Institute wo man sich sammelt, wir brauchen auch was noch am Christentum übriggeblieben ist“, so Maximilian Krah, ehemaliger stellvertretender Vorsitzender der AfD Sachsen und Europaabgeordneter seiner Partei.
Krah konstatiert in einem YouTube-Video, dass Teile der AfD kein ideologisches Fundament hätten. Sie würden auf jeden Aufreger springen ohne sich Gedanken zu machen, was das für andere Themen bedeute. Daher sei ein Ideologieaufbau und Qualifizierung des AfD-Nachwuchses vorderste Prämisse um die Partei besser aufzustellen. Als Vorbild für die AfD gibt Krah die flämische Partei Vlaams Belang aus. Die seien knallhart, rechter als die AfD, aber mit jungen, charismatischen Typen mit einer gewissen zukunftsgerichteten Ästhetik, so Krah. Für den Ideologieaufbau sollen dann nach Vorstellung des rechtsextremen Parteiflügels vor allem das Institut für Staatspolitik, Vereine wie EinProzent, Bibliothek des Konservativismus aber auch die Desiderius Erasmus Stiftung zuständig sein. Letztere wahrscheinlich dann entledigt um die jetzige Vorsitzende Erika Steinbach, die von vielen in der Partei wohl nur noch als halbwegs bürgerliche Fassade geduldet wird, bis der Geldsegen kommt. Ebenso dürften die euphemistisch als „alternative Medien“ bezeichneten rechtsextremen Zeitungsprojekte wie das Compact-Magazin oder die österreichische Info-Direkt zu den AfD-Vorfeldorganisationen zählen.
Aufgabe der Vorfeldorganisationen wie dem IfS ist es im ersten Schritt, den Raum des Sagbaren und im zweiten den des Machbaren zu erweitern. Die Erweiterung des Sagbaren wird auf vielen Ebenen vorangetrieben: So wird der Nationalsozialismus nicht „nur“ als „Vogelschiss“ betrachtet. IfS-Chef Erik Lehnert nennt die Zeit 1914-1945 in einer totale Täter-Opfer Umkehr einen „31 jährigen Krieg gegen Deutschland“ (Nazilink: https://www.youtube.com/watch?v=4uU5P3q2vps 1:09: 40). In dieser Logik kann dann der Nationalsozialismus womöglich sogar samt Shoa als Widerstandsbewegung gelabelt werden. Gepaart ist dies zumindest bei Teilen dieser Vorfeldorganisationen mit Umsturzfantasien und Betrachtung der (parlamentarische) Demokratie als zu überwindendes Auslaufmodell. Geplant wird für die Zeit danach, wenn so die Hoffnung, eine tendenziell eher faschistoide autoritäre rechte Elite das Land führt.
Um die Partei auf den von Höcke & Co anvisierten Weg zu bringen, bedarf es nach deren Ansichten erst einmal innerparteiliche Umbauprozesse. Höcke setzt sich lautstark dafür ein, den Bundesvorstand zu reformieren, um, wie er es formuliert, alle Strömungen in der Partei zu integrieren. Gemeint ist damit mehr Höcke, mehr Flügel, weniger Meuthen & Co. Der Rücktritt von Christian Waldheim aus dem Bundesvorstand hat schon die Mehrheit des Meuthen-Lagers schrumpfen lassen. Spätestens nach dem Bundesparteitag dürfte das Höcke-Lager die Mehrheit auch im Bundesvorstand haben. Darüber hinaus fordert Höcke zielführende Projekte, die helfen sollen, die Partei wieder zu einen: „Eine Parteiimmobilie in der Mitte Deutschlands beschaffen, einen eigenen Radio- und Fernsehsender aufbauen, die alternativen Medien und den vorpolitischen Raumes systematisch einbinden.“.
AfD-Pressesprecher: „Ich war früher auch eher ein Vertreter von Medienfreiheit“
Der Ausbau und Aufbau eigener Medien geht auch mit einer Kritik der Pressefreiheit einher. Meist wird sie als Kritik an den vermeintlich einseitigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk kundgetan, die auch im demokratisch-konservatives Spektrum anschlussfähig scheint. Aber was eigentlich gemeint ist, formuliert ausgerechnet der Pressesprecher der AfD-Fraktion im EU-Parlament und Vize-Chef der Jungen Alternative Tomasz Fröhlich. Fröhlich, der neben dem deutschen auch einen polnischen Pass hat, verdeutlicht seine Kritik an der Einschränkung der Pressefreiheit in Polen: „Ich war früher auch eher ein Vertreter von Medienfreiheit, Medienpluralismus. Aber mittlerweile muss ich sagen, dass es fast schon Notwehr ist, seitens der PiS diese Sender [gemeint sind die staatlichen Sender] ein stückchenweit zu okkupieren, um da eine Gegenöffenlichkeit gegen, ich sag mal die Globalistensender“ zu schaffen.
Eine aktuell stärker diskutierte Option neue Wähler:innenspektren für die AfD zu erschließen, ist der erneut angestoßene Versuch verstärkt Nationalist:innen mit Migrationsbiografie einzubinden. Viele Migrant:innen hätten ein „Wertegefüge“, dass dem der AfD ähnele, da es sich auf die Grundpfeiler Respekt vor der Familie und Nation speise, meint etwa Hans Jürgen Tillschneider. Diese Gruppe könne ein Angebot als „Konvertiten zum Deutschtum“ unterbreitet werden. Tillschneider formuliert dies sehr vorsichtig, da auch ihm klar ist, dass dies derzeit bei weitem nicht mehrheitsfähig in der AfD ist.
Ausblick 2022
Die AfD geht mit vielen internen Problemen, aber auch eingespielten Bundestags-Personal in das neue Jahr. Die Partei hat die letzten vier Jahre genutzt, sich im Bundestag zu professionalisieren. Davon wird sie in dieser Legislaturperiode profitieren. Mit der Nichtwahl ihrer drei Ausschussvorsitzenden im Bundestag, steht sie gleich wieder im Rampenlicht und kann sich in ihrer Lieblingsrolle präsentieren: „Wir sind die echten Demokrat:innen und die anderen Parteien wollen die Macht nur unter sich aufteilen.“ Die etablierten Parteien hätten sich den Staat zur Beute gemacht.
Im Frühjahr wird die AfD aber erst einmal gespannt nach Köln schauen. Für das erste Quartal 2022 hat das dortige Verwaltungsgericht angekündigt, über zwei Klagen der AfD zu entscheiden. Mit ihren Klagen gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz wendet sich die AfD zum einen gegen die Einstufung als so genannter Verdachtsfall und zum anderen gegen die Bekanntgabe der Mitgliederzahl des „Flügels“. Sollte das Gericht die Klagen abweisen, so ist im ersten Halbjahr mit einer Einstufung der AfD als Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz fest zu rechnen. Wie die Partei darauf reagiert bleibt abzuwarten. Auch ob es dann zu nennenswerten Parteiaustritten kommt. Paradoxerweise könnte es dem rechtsextremen Flügel Auftrieb geben, der sich dann ohne Rücksicht klarer zu seinen Positionen bekennen könnte. Auch unter diesem Aspekt könnte der Bundesparteitag spannend werden. Ob dieser noch vor der Gerichtsentscheidung und einer öffentlichen Einstufung durch den Verfassungsschutz stattfindet, ist unklar.
Ob es aber zu einem lautstarken Showdown zwischen dem Meuthen- und Höckeflügel kommt, ist eher fraglich. Es ist nicht unbedingt zu erwarten, dass dieser schwellende Konflikt in scharfer Form öffentlich ausgetragen wird. Eine Spaltung in zwei ungefähr gleichgroße Hälften ist möglich, aber derzeit eher unwahrscheinlich. Die von Meuthen beim Kyffhäusertreffen beschworene strömungsübergreifende Einheit der Partei spielt Höcke & Co in die Hände. Nicht sie, sondern Meuthen spaltet. Höckes Taktik der Nadelstiche, wie beim letzten Parteitag als der Austritt aus der EU als Forderung der AfD beschlossen wurde, wirken. Einen offenen Machtkampf hat Höcke schon immer gescheut und jetzt wäre er auch noch taktisch unklug. Die Taktik ist eine andere: Schon seit langem versucht die (ehemalige) Flügel-Fraktion auch die Fraktionen im Westen zu übernehmen oder zumindest den eigenen Einfluss stark auszubauen. Durchaus mit Erfolg wie zuletzt in Hessen und Bayern zu sehen war. Wie dieser Flügelstreit die AfD lähmt, zeigt sich vor allem im Nordwesten. Nach Austritten und Ausschlüssen hat die AfD in Schleswig-Holstein, Bremen und Niedersachsen ihren Fraktionsstatus verloren. Lediglich in Hamburg gibt es mit sechs Abgeordneten noch eine kleine Fraktion.
Dieter Stein, Chefredakteur der „neu“-rechten Jungen Freiheit, die dem „Meuthen-Lager“ zuzurechnen ist, sieht die AfD in schwierigem Fahrwasser. Sie müsse „in dieser Legislaturperiode qualitativ deutlich zuzulegen“, so Stein. Der Reformdruck könne enorm steigen. „Angesichts der 2022 anstehenden Landtagswahlen wird die Frage existentiell, ob die AfD neben einer sich neu profilierenden CDU im Westen den Abwärtstrend wieder umkehren kann“. Bei den vier Landtagswahlen im Westen (Saarland, Schleswig-Holstein, NRW und Niedersachsen) wäre es fatal, alleine auf die Erfolgsfaktoren in den ostdeutschen Bundesländern zu setzen, sonst mutiere die AfD endgültig zu einer „Lega Ost“ so die Befürchtung wohl nicht nur bei Stein. Im Osten steht, sollte es weder in Thüringen noch Sachsen zu vorgezogenen Neuwahlen kommen, aus AfD-Sicht nur eine wichtige Wahl an. Im Juni 2022 werden in mehreren Kreisen in Sachsen neue Landrät:innen gewählt. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass die AfD sich hier bei einzelnen Abstimmungen durchsetzen kann. Kombiniert mit schlechten Wahlergebnisse in den westlichen Bundesländern, könnte das den endgültigen Ausschlag für die Linie der ostdeutschen Landesverbände in der Partei geben.
Foto: Wikimedia / Sandro Halank / CC BY-SA 4.0