1. Was ist denn an dem Tanz rassistisch?
Der Tanz an sich war nicht rassistisch. Er war aber geschmacklos, unüberlegt und überflüssig, und wertet die Gegner ab. Das sollten die Spieler einer Mannschaft nicht nötig haben, die
a) Weltmeister sind.b) für Fairplay einstehen sollten, auch außerhalb des Sports.c) sich ihrer Vorbildfunktion dieser Tage durchaus bewusst sein sollten.
Abwertung anderer – ich fühle mich besser, weil ich Dich mies mache – ist der erste Schritt zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, wie Rassismus, Beharren auf Etabliertenvorrechten, Sexismus, Behindertenfeindlichkeit usw.
Schöner wäre eine Freude am Gewinn ohne Häme. Wie auch bei der Weltmeisterschaft Freude an schönen Fußballspielen schöner ist als Feier von Nationalismus.
Rassistisch ist höchstens die Bezeichnung „Gaucho-Dance“. Denn“Gaucho“ wird hier nicht in neutraler Verwendung genutzt, wie das vielleicht argentinische Cowboys für sich tun. Deshalb.
Dazu ist das Bild des aufrecht gehenden (marschierenden?) Deutschen gegenüber dem kriechenden Verlierer vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte zumindest ungeschickt und missverständlich: Vermutlich war nur „traurig“ und „fröhlich“ gemeint. Aber es bleibt missverständlich und zumindest ungeschickt.
2. Die anderen sind auch rassistisch / machen sich auch über Verlierer lustig, und da sagt keiner was.
Doch. Rassismus und Abwertung sind leider kein deutsches Phänomen, sondern weltweit verbreitet. Und weltweit problematisch. Etwas anderes werden Sie von uns nie hören.
3. Da waren auch Spieler mit Migrationshintergrund dabei.
Siehe Frage 2: Abwertung gibt es unter allen Menschen, nicht nur deutschen oder denen mit deutschen Wurzeln.
4. Den Tanz gibt es schon ganz lange / schon Oliver Pocher hat das 2008 gemacht / den gibt es in allen Stadien.
Und das macht es besser? Ernsthaft? Nein.
5. Ich habe mich nach Fußballspielen auch schon über die Verlierer lustig gemacht, das ist Teil des Spaßes!
Ernsthaft? Na, für uns ist Abwertung kein Spaß. Siehe oben.
Aber das ist vermutlich ein Grund, warum sich viele zu diesem Thema so aufregen: Weil es plötzlich das eigene Leben tangiert. Dann ist die erste Reaktion oft Abwehr. Wir hoffen aber auf spätere Reflektion.
5. Warum darf man nicht einfach mal feiern?
Darf man. Die Feier war toll, die Weltmeisterschaft und die Leistung der Mannschaft war es auch. Übrigens waren wir auf der Fanmeile. Wir haben eine offene, fröhliche, ausgelassene Stimmung unter glücklichen Fußballfans erlebt, die sehr schön war und Menschen aus anderen Ländern, etwa die vielen Berlin-Touristen, die sich das Event auch nicht entgehen ließen, mit einschloss.
Trotzdem werden wir immer kritisieren, wenn etwas schief läuft. Nicht, um das Event madig zu machen, sondern um die Aufmerksamkeit auch auf Bruchstellen im demokratischen Konsens zu lenken. Das sehen wir als unsere Aufgabe. Wie sehr wir dafür beschimpft werden, zeigt, wie nötig das ist.
Die Medienreaktionen, die sagen, damit sei die ganze WM entwertet, sind überzogen. Es war eine kleine Entgleisung, aber leider vor Millionenpublikum.
Tatsächlich hätte ich mir deshalb am meisten gewünscht, ein sensibles Management hätte den aufgedrehten Jungs, die sicher zuvor tagelang gefeiert und nicht geschlafen hatten (was nicht immer die besten Ideen hervorruft), zur Seite gestanden und sie von einer solchen geplanten (!) Aktion abgehalten. Bisher hatte die deutsche Mannschaft im Turnier auch im Auftregen und Verhalten einen sehr guten und fairen Eindruck gemacht. Schade, dass sie ihn nun auf der Zielgeraden selbst angekratzt haben.
Update 17.07.2014
Zwei Fragen scheinen noch unbeantwortet:
6. Nur die Deutschen regen sich auf – im Ausland stört das keinen.
In Argentinien reichen die Reaktionen von entspannt bis empört. Die Sportzeitung „Olé“schreibt: „Die Deutschen denken, sie schauen von oben herab. Sie halten sich für eine andere Rasse.“ Auf CNN Spanish heißt es: „Es scheint so, als hätten die Deutschen ihre eigene Art, die Argentinier zu fragen: ‚Wie fühlen Sie sich?'“ Die Tageszeitung „Infobae“spricht von einer „provokativen anti-argentinischen Feier der Weltmeister“, „La Nación“ von einem „polemischen Witz“ (siehe z.B. faz.net).
7. Im Jahr 2008 haben die Spieler das auch schon gemacht und da hat sich keiner aufgeregt!
Dazu empfehle ich den Artikel „Torresgate? So gingen die Deutschen 2008“ von Stefan Niggemeier. Der hat mit einem Blick ins Archiv festgestellt: Schon damals fanden das viele Menschen und Medien gar nicht lustig. Und sogar auch der DFB nicht. Nationalmannschaft-Manager Oliver Bierhoff etwa wird damals angesichts des von Oliver Pocher angeregten Tanzes, der die Spanier verhöhnen sollte: „Wir müssen noch mehr Einfluss und Kontrolle nehmen, was den Ablauf einer solchen Veranstaltung angeht. Das Fernsehen hatte viel vorgegeben, dazu gehörte auch der Auftritt von Oliver Pocher. Bei solchen Auftritten müssen wir künftig darauf achten, dass eine gewisse Seriosität und der sportliche Charakter gewahrt bleiben.“ Hatte er Recht. Hätte er sich nur dran erinnert.
Siehe auch:
| Der deutsche Gaucho-Dance war eine Schnapsidee (Welt online)
Mehr zur WM auf netz-gegen-nazis.de
| Rassismus und aggressiver Patriotismus zum WM-Finale| FIFA-WM, Woche 4: Überlegenheitsfantasien, Nazi-Vergleiche und Kritik an der FIFA| FIFA-WM, Woche 3: Reichsflaggenjubel, Twitter-Rassismus und der Hakenkreuz-Cannabis-Papst| FIFA-WM, Woche 2: Blackface und andere Scheußlichkeiten| Fußball-WM, Woche 1: Party-Patriotismus fordert erstes Opfer in Nidda| DFB-Elf: Zu Multikulti für den Volksmob| Zur Fußball-WM 2014: Do’s and Don’ts bei der Spielbetrachtung