In Teilen der Klimabewegung ist eine Auseinandersetzung um den Staat Israel zu beobachten. Die Auseinandersetzung tritt vor allem in den sozialen Netzwerken, insbesondere via Twitter, zu Tage. Teile der Bewegung verbreiten offen israelfeindliche Positionen, nicht zuletzt der internationale Account von „Fridays for Future“ (@Fridays4future).
So teilte die internationale Gruppe am 19. Mai 2021 einen mehrteiligen Beitrag auf Twitter und Instagram, in dem sie zur Unterstützung der BDS-Kampagne aufrief. Weiter hieß es, die Palästinenser*innen hätten nicht immer das Privileg, Gewaltlosigkeit als „zumutbare Option“ zu haben. „Unsere Herzen sind bei allen Märtyrer*innen und verlorenen Leben…ihr Blut wird nicht vergessen werden“, schrieb sie. Die israelische Regierung sei zudem eine „Form des Militarismus und Kolonialismus“, die sie abschaffen will. Zum Schluss zitierte Fridays for Future International u.a. Ghassan Kanafani, Wortführer der palästinensischen Terrororganisation PFLP.
Andere Teile der Bewegung zeigen eine klare Haltung gegen israelfeindliche Positionen. Das ist insbesondere im deutschen Ableger von Fridays for Future zu beobachten. Nach dem Beitrag von Fridays for Future International im Mai 2021 schrieb Fridays for Future Deutschland in den sozialen Netzwerken: „Antisemitismus ist in keinster Weise mit unserem Selbstverständnis vereinbar.“ Hierzu kommentierte Luisa Neubauer via Twitter: „Wichtige Distanzierung. Wir stellen uns klar und deutlich gegen jeden Antisemitismus, überall.“
„Apartheid“, „ethnic cleansing“, „neocolonialism“
Die Hetze gegen Israel ist regelmäßig im Zusammenhang mit dem internationalen Twitter-Account von Fridays for Future festzustellen. Am 25. Juli 2022 teilte der Account einen Tweet zur angeblichen „ethnic cleansing“ im Westjordanland und kommentierte: „Apartheid in Israel continues to escalate. More and more houses are being destroyed and Palestinian People are being expelled or killed. Climate justice also means freedom for all oppressed. Free Palestine!“ Am 29. November 2022 klagte der Account über „Israeli apartheid“ und „neo-colonialism“. Es überrascht nicht, dass der Account die antisemitische BDS-Kampagne bewarb und den Hashtag #ZionismIsRacism nutzte.
Die Vorwürfe haben das Ziel, den Staat Israel zu delegitimieren. Zuletzt, am 23. Januar 2023, verbreitete der Account die Parole „Yallah Intifada!“. Die Parole ist mittlerweile auf vielen linken Demonstrationen zu beobachten. So wurde sie in Berlin im Rahmen eines Gedenkens anlässlich des rassistischen Anschlags von Hanau und im Rahmen des feministischen Kampftages genutzt. „Intifada“ heißt im Arabischen wörtlich „Erhebung, Abschüttelung“. Es ist der Name für zwei palästinensische Aufstände und damit einhergehende jahrelange Serien von Angriffen und Terroranschlägen auf die israelische Zivilbevölkerung. Während der Ersten Intifada (1987-1991) wurden 160 Israelis ermordet, während der Zweiten Intifada (2000-2005) mehr als eintausend Israelis. Über 20.000 Anschläge, darunter über hundert Selbstmordattentate, zählen hierzu.
„Klar gegen jede Form der Diskriminierung“
Stets, wenn der internationale Twitter-Account von Fridays for Future mit israelfeindlichen Positionen an die Öffentlichkeit tritt, wird diskutiert, wie der deutsche Ableger zum Staat Israel und zum Umgang mit israelbezogenem Antisemitismus steht. Das zeigt: Der Versuch, den Klimaschutz zu vereinnahmen, um israelfeindliche Botschaften zu verbreiten, schadet der Klimabewegung. Die Botschaften lenken vom Thema ab und rücken die Bewegung ins Abseits.
Gleichzeitig wird deutlich, wie wichtig eine offensive Haltung gegen diese Vereinnahmungversuche ist. So stellte Fridays for Future Deutschland nach dem „Intifada“-Tweet fest: „Wir stehen klar gegen jede Form der Diskriminierung, einschließlich und nachdrücklich gegen alle Formen des Antisemitismus.“
Im Kontext derart israelfeindlicher Positionen erschien am 5. Januar 2023 ein Interview mit Luisa Neubauer und Anael Back in der Jüdischen Allgemeinen. Back, eine jüdische Aktivistin von Fridays for Future, sagte zur Frage, ob Distanzierungen vom Israelhass des internationalen Twitter-Accounts reichen würden: „Ich würde sagen, eine Distanzierung reicht. Danach geht es darum, den Worten Taten folgen zu lassen.“
Im Interview erklärten die Aktivist*innen, was das für sie konkret bedeutet. Man beobachte, dass die Sensibilität im Umgang mit Antisemitismus wachse, und versuche, jüdische Aktivist*innen besser einzubinden und zu vernetzen. Die Vernetzung helfe, Erfahrungen auszutauschen. Zudem wolle man eine Workshop-Reihe anbieten, um Ortsgruppen die Möglichkeit zu geben, sich zum Thema Antisemitismus fortzubilden.
Nach der „Intifada“-Parole des internationalen Twitter-Accounts von Fridays for Future forderte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, Fridays for Future solle die IHRA-Arbeitsdefinition Antisemitismus annehmen. Allerdings sagte Back im Interview, Fridays for Future Deutschland habe die Arbeitsdefinition „schon vor einer Weile“ angenommen.
Die Annahme, die auf Anfrage der Amadeu Amadeu Stiftung am 21. Oktober 2021 erfolgte, sei „ein wichtiger Schritt für die Bewegung“. Back erläuterte: „Die Arbeitsdefinition ist seitdem ein Teil unseres Selbstverständnisses, weswegen wir die Definition in unsere Arbeit einbeziehen, sowohl intern als auch in unserer Öffentlichkeitsarbeit. So achten wir bei möglichen Zusammenarbeiten darauf, dass die vorherig getroffenen Aussagen von Personen bzw. Gruppen der IHRA-Arbeitsdefinition nicht widersprechen.“
Ein Blick auf die Bremer Ortsgruppe von Fridays for Future zeigt, wie wichtig die Auseinandersetzung mit israelbezogenem Antisemitismus ist – und dass das Problem nicht auf die Social-Media-Kanäle beschränkt bleibt. Die Ortsgruppe soll die Gruppe „Palästina Spricht“ ausdrücklich eingeladen haben, um im Rahmen der Fridays-for-Future-Demonstration vom 23. September 2022 in der Hansestadt einen Redebeitrag zu halten. „Palästina Spricht“ steht der antisemitischen BDS- Kampagne nahe. Im Gespräch mit dem Regionalmagazin buten un binnen betonte ein jüdischer Aktivist, wozu das führt: „Für mich bedeutet das einfach, dass es kein Raum ist, wo ich mich als Jude sicher fühlen kann.“
Nachdem die Ortsgruppe den Redebeitrag von „Palästina Spricht“ verteidigt hatte und bis heute verteidigt, veröffentlichten der Verband „Jüdischer Studierender in Norddeutschland“ und die Jugendorganisationen der Grünen, SPD und Linken vor der Bremer Fridays-for-Future-Demonstration zum Globalen Klimastreik vom 3. März 2023 eine Erklärung mit dem Titel „Für eine solidarische Klimabewegung – Gegen jeden Antisemitismus“.
Im Interview mit der Jüdischen Allgemeinen wurden Anael Back und Luisa Neubauer mit der Bremer Ortsgruppe konfrontiert. Back erklärte, Fridays for Future habe das Prinzip der Ortsgruppen-Autonomie. Dennoch sei man bemüht, dem israelbezogenen Antisemitismus entgegenzuwirken und den Vorfall rund um „Palästina Spricht“ aufzuarbeiten.
„Bücher verbrennen?“
Die Auseinandersetzungen um Antisemitismus in der Klimabewegung zeigen nicht nur, wie versucht wird, israelfeindliche Positionen in das Thema Klimaschutz zu tragen, sondern auch, was gegen den Israelhass in den Reihen der Bewegung getan werden kann. Die klare Haltung, die der deutsche Ableger von „Fridays for Future“ zeigt, ist nicht zuletzt wichtig, weil politische Opponent*innen immer wieder versuchen, die Klimabewegung zu diskreditieren – indem sie mit der links- terroristischen Rote Armee Fraktion (RAF) oder mit dem Nationalsozialismus assoziiert bzw. gleichgesetzt wird.
Assoziationen mit dem Nationalsozialismus relativieren und verharmlosen die Taten der Nationalsozialist*innen. Das bekannteste Beispiel lieferte der Bundeskanzler Olaf Scholz: Als zwei Klimaaktivist*innen den Auftritt des Kanzlers im Rahmen des Katholikentages 2022 in Stuttgart (Baden-Württemberg) störten, sagte Scholz unter Applaus: „Ich sage mal ganz ehrlich, diese schwarz gekleideten Inszenierungen bei verschiedenen Veranstaltungen von immer den gleichen Leuten erinnern mich an eine Zeit, die lange zurückliegt, und Gott sei Dank.“
Zwar hatte Scholz den historischen Bezugspunkt offengelassen. Jedoch schuf er einen Assoziationsraum, weshalb Luisa Neubauer & Co. einen naheliegenden Vergleich mit dem Nationalsozialismus anprangerten. Die Sprecherin von Olaf Scholz entgegnete, der Vorwurf sei „vollkommen absurd“, aber ließ den historischen Bezugspunkt seiner Worte weiter offen.
Ein aktuelleres Beispiel liefern Reaktionen auf eine Aktion eines Klimaschutz-Bündnisses aus Deutschland und Österreich: Am 4. März 2023 beschmierte die „Letzte Generation“ eine Glasskulptur in Berlin. Die Aktivist*innen nutzten eine schwarze Flüssigkeit, um Plakate mit der Botschaft „Erdöl oder Grundrechte?“ aufzukleben. Die Glasskulptur trägt den Namen „Grundgesetz 49“ und zeigt die ersten 19 Artikel des Grundgesetzes in der ursprünglichen Fassung von 1949.
Nachdem die „Letzte Generation“ ein Aktionsvideo in den sozialen Netzwerken verbreitete, folgten zahlreiche Kommentare – darunter auch unangemessene Vergleiche. Der SPD-Politiker Michael Roth behauptete, die „Letzte Generation“ sei „wie die Taliban“, mehrere CDU- Politiker*innen forderten, die Gruppe solle vom Verfassungsschutz beobachtet werden.
Nikolaus Blome – ehemals Mitglied der Chefredaktionen von Bild und Der Spiegel, heute Ressortleiter Politik und Gesellschaft der Zentralredaktion von RTL Deutschland – kommentierte via Twitter: „Es langt. Was machen die als nächstes? Bücher (in Öl tränken und dann) verbrennen?“ So verknüpft Blome, der u.a. Geschichte studierte, die Aktionen der „Letzte Generation“ mit den nationalsozialistischen Verbrechen. Denn die Nationalsozialist*innen führten um den 10. Mai 1933 eine reichsweite, systematische Bücherverbrennung jüdischer, marxistischer, pazifistischer Schriftsteller*innen durch. Die Verbrennung war der Gipfel der „Aktion wider den deutschen Ungeist“ – und zugleich der Beginn der systematischen Verfolgung jener Schriftsteller*innen.
Während Teile der internationalen Klimabewegung ganz offen israelfeindliche Botschaften verbreiten, zeigen andere Teile eine klare Haltung gegen Antisemitismus und Israelhass. Nicht zuletzt im Kontext der Auseinandersetzungen um Antisemitismus versuchen politische Gegner*innen, die Klimabewegung zu diskreditieren. Teilweise werden die Aktionen der Klimaaktivist*innen mit den Verbrechen der Nationalsozialist*innen gleichgesetzt. Die Gleichsetzungen machen einmal mehr deutlich, wie wichtig eine offensive Haltung gegen menschenfeindliche Ideologien ist.
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