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Zwischen Wissenschaft und Rechtsesoterik Verbreitet ein Professor der Technischen Uni Hamburg Verschwörungsideologien?

Symbolbild (Quelle: Pixabay)

Der Hamburger Professor Dr.-Ing. Ralf Otterpohl beschäftigt sich in seiner universitären Arbeit mit Abwasserwirtschaft und Bodenverbesserung. Der Leiter des zugehörigen Instituts der Technischen Universität in Hamburg steht aber nicht nur der rechtsesoterischen Anastasia-Bewegung nahe und hält Vorträge für deren Anhänger*innen, sondern vertritt auch innerhalb seiner Lehre Verschwörungstheorien. Demnach spricht er in seinen Lehrveranstaltungen von der Existenz von Chemtrails und fordert seine Studierenden auf, auch Geomantie in ihrer Forschung zu berücksichtigen, also esoterische Annahmen über Energiefelder und Energiestrukturen.

Im April 2017 brachte Otterpohl ein Buch mit dem Titel „Das Neue Dorf. Vielfalt leben, lokal produzieren, mit Natur und Nachbarn kooperieren“ heraus. Darin entwickelt er das Konzept des „Neuen Dorfes“, welches zum einen – gerade für junge Menschen – einen attraktiven Gegenentwurf zum Leben in der Großstadt darstellen, zum anderen als nachhaltiges Konzept ökologische Landwirtschaft und Klimaschutz unterstützen soll. Seit der Veröffentlichung hält Otterpohl viele Vorträge zu seinem Konzept.

In seinem Buch stellt Otterpohl verschiedene, wie er sie nennt „Wunderdörfer“ vor, die er als positive Beispiele für nachhaltig bewirtschaftete Regionen abseits von großen Städten bezeichnet. Ein Beispiel, dass er in diesem Zusammenhang hervorhebt: Anastasia-Familienlandsitze. Darauf, dass die damit verbundene Anastasia-Bewegung eine völkische Blut-und-Boden-Ideologie vertritt, verweist Otterpohl in seinem Buch allerdings nicht. So betont er:

„Weniger großartig ist allerdings, was manche aus der Anastasia-Vision machen wollen: In Deutschland scheint es einige zu geben, die die Landsitz-Idee mit extremen politischen Gedanken in Verbindung bringen wollen, die damit nichts zu tun haben. Dagegen muss sich die Bewegung wehren!“

Die Anastasia-Bewegung

Die Bewegung begründet sich auf der zehnbändigen Romanreihe des russischen Autors Wladimir Nikolaevich Megre, der von seiner Begegnung mit Anastasia in der Taiga berichtet. Laut Megre ist Anastasia eine real existierende Person, die autark in den Wäldern und mit der Natur in Einklang lebt. Besonders beeindruckend an ihr seien ihre Fähigkeiten: Allwissenheit, Telepathie und die höchste Gedankengeschwindigkeit. Megres These: jede Person könne eben diese Fähigkeiten auch erreichen, sofern sie Anastasias Lebensweise adaptiere. Im Verlauf der Romanreihe erhalten Leser*innen einen Einblick in die Ideologie, die den Erzählungen zugrunde liegt. Neben einer klar antimodernen Einstellung, nach der jegliche Form von Fortschritt als schädlich gilt, vertritt Megre antidemokratische, antisemitische, rassistische und frauenfeindliche Thesen. Er schreibt von der „Dämonkratie“, der Versklavung aller Bürger*innen unter den „Dunkelkräften“ eines Oberpriesters, dessen Soldat*innen hinterlistige wohlhabende Jüd*innen seien und unterstützt die Telegonie-These. Nach dieser besonders in rechtsesoterischen Kreisen verbreiteten These gilt der erste Sexualpartner einer Frau als prägend für ihre späteren Kinder anderer Partner und somit als Bedrohung des eigenen „Volkes“ und ist klar angelehnt an die Rassenideologie der Nazis. Megre schließt somit eindeutig an verschwörungsideologische Annahmen der sogenannten „jüdischen Weltverschwörung an“, nach der eine kleine Gruppe von einflussreichen Jüd*innen die Geschicke der Welt lenke und die von vielen Antisemit*innen als Legitimierung für die eigene Ideologie herangezogen wird.

Versuche der Rechtfertigung

Otterpohl kennt diese Kritik an der Anastasia-Bewegung. Im Rahmen einer Dokumentation über die Anastasia-Bewegung des Bayrischen Rundfunk, beteuerte der Hamburger Professor, er selbst habe bei der Lektüre keine antisemitischen Aussagen ausmachen können. Diese seien vielmehr Aussagen von Personen, die die Bücher selbst nicht gelesen hätten.

In Bezug auf seinen Auftritt in der BR-Dokumentation veröffentlichte Otterpohl im November 2018 eine Stellungnahme, in der er beteuert, ihm seien nach seinem Interview Zweifel gekommen und er habe im Nachhinein einige wenige Stellen nachgelesen, „allerdings ohne wirklich umfassende Recherche“. Obwohl er seine eigenen Nachforschungen zu der Romanreihe als nicht umfassend und somit vermutlich nicht ausreichend bezeichnet, verteidigt er Megres Thesen in seiner Stellungnahme. Dabei betont er unter anderem bei den Aussagen in den Büchern, denen er nicht grundsätzlich zustimmen würde, dass er diese nicht objektiv bewerten könne, da sie sich entweder auf die fiktive Figur der Anastasia beriefen oder „durch Channeling der Schamanian [sic] Anastasia“ und somit einer unkonventionellen Denkweise begründet seien. Scheinbar sieht Otterpohl in dieser, wie er es nennt, „subjektiven“ Sicht Megres, eine legitime Argumentationsweise und keinen Anlass offenbar übernatürliche Kommunikation als ideologische Quelle an sich zu hinterfragen. Gegen den Vorwurf des Antisemitismus zitiert er den achten Band der Romanreihe als den Versuch der „Lösung der Konflikte und Aufarbeitung der Anfeindungen, denen Juden seit langer Zeit ausgesetzt waren.“ Was Otterpohl hier als pro-jüdische Analyse einer jahrhundertealten Diskriminierung bezeichnet, liest sich in dem Roman selbst so:

„Die Länder jedoch, in die der Teil der jüdischen Finanzoligarchie flüchtet, der dem Pogrom entgehen konnte, um seine multimilliardenschweren Besitztümer dort legalisieren zu lassen und den Status internationaler Unantastbarkeit zu erhalten, diese Länder werden konkreten materiellen Nutzen davon haben“

Im weiteren Verlauf diagnostiziert Megre, Jüd*innen selbst hätten methodisch Pogrome provoziert, um die eigenen Besitztümer zu retten. Nicht alle Jüd*innen seien auf der Suche nach Intrigen, scheinbar aber doch eine Mehrheit. Megre zählt hier verschiedene antisemitische Phrasen auf, die ihm in anderen Veröffentlichungen aufgefallen seien: „‚Die Juden haben die Presse verschiedener Länder unter ihre Kontrolle gebracht‘; ‚das Fernsehen ist von Grund auf jüdisch‘; ‚der Geldfluss in der Welt wird zum größten Teil von Juden kontrolliert.‘“ und resümiert: „Das ist alles so, keine Frage“, bevor er sich weiter in seiner Argumentation verstrickt.

Otterpohls Versuch sich von der Bewegung zu distanzieren wirkt bemüht. Er beteuert, er habe Kontakte zu all jenen Anastasianern gekappt, die sich ihm gegenüber diskriminierend geäußert hätten, zu anderen halte er den Kontakt. Zu letzteren zählt Otterpohl explizit auch den Anastasianer Robert Briechle, der einen Familienlandsitz im Allgäu betreibt. Briechle hat jedoch nach Erscheinen der BR-Doku eine Stellungnahme veröffentlich, in der er sich unter anderem mit Frank Willy Ludwig solidarisierte, einem ausgewiesenen Hakenkreuz-Fan, der auf einem Foto seines Facebook-Profils mit Hitlergruß abgebildet ist und in der Doku mit den Worten „Die jüdische Rasse werdet ihr an der grauen Hautfarbe und den dunklen, finsteren Augen der Nacht erkennen“ zitiert wird.

Mit Pseudo-Wissenschaft ins Neue Dorf

Neben der menschenfeindlichen Ideologie, die der Anastasia-Bewegung zugrunde liegt, lehnen ihre Anhänger*innen auch die Schulmedizin in weiten Teilen ab. Ohne sich allzu deutlich gegen schulmedizinische Forschung zu wenden, formuliert Otterpohl in seinem Buch dennoch die Idee, dass Gründer*innen des Neuen Dorfes sich auch mit Heilpflanzenanbau beschäftigen sollten, denn:

„Kräutermedizin hat ein enormes Potenzial. Durch Testverfahren wie Biofeedback oder die kinesiologische Regulationsdiagnostik nach Dr. Dietrich Klinghardt mit entsprechenden komplexen Vortests können gute Therapeuten die erforderliche Pflanze oder Mischung davon sehr genau bestimmen.“

Der Professor für Abwasserwirtschaft scheint seine Thesen wissenschaftlich zu belegen und legitimiert seine Aussagen mit Bezugnahme auf Dr. Klinghardt, einen Kinesiologen. Kinesiologie gilt laut der Enquete-Kommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“ des Bundestags seit 1998 als esoterische Heilmethode und ist eine pseudomedizinische Diagnosetechnik. Der Doktor dieses alternativmedizinischen Behandlungskonzepts, Dietrich Klinghardt, gibt Seminare und ist gern gesehener Gast in diversen rechtsalternativen Medien, wie den YouTube-Kanälen „quer-denken.tv“ und „Welt im Wandel TV“, bei denen auch Verschwörungsideolog*innen zu Wort kommen, wie Christa Jasinski, die dort über die Hohlerde philosophiert oder der „Prophezeiungsforscher“ Stephan Berndt, der auch im Antaois Verlag publiziert.

Der Bezug auf Klinghardt wird von Otterpohl als Legitimationsquelle genutzt. Der scheinbare Experte wird von ihm zitiert, ohne ein Wort über dessen kritische Rolle im wissenschaftlichen Diskurs zu benennen. Und auch Otterpohl ist auf YouTube-Kanälen zu finden, zum Beispiel beim verschwörungstheoretischen Kanal „NuoViso.TV“.

Verschwörung unter dem Schirm der Technischen Uni Hamburg

Umso problematischer sind Otterpohls Verbindungen zur Anastasia-Bewegung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Technischen Universität Hamburg, die der Professor sowohl in seinem Buch, als auch bei seinen Vorträgen betont. In der Bewerbung seiner Vorträge sieht sich Otterpohl in der Situation zu verdeutlichen, dass er keinen Raum geben würde, um über die Rechtmäßigkeit der BRD zu diskutieren. So scheint er schon zuvor mit „Reichsbürger“-Ideologie konfrontiert worden zu sein, die sich auch in der Anastasia-Bewegung finden lassen.

Auf Workshops ziert das Logo der TUHH das Deckblatt seiner Präsentationen, wovon eine Version online als PDF abrufbar ist. Auf der Präsentation lassen sich Aussagen lesen, wie „die neoliberale Wirtschaftsideologie (von einer Endzeitsekte geführt?) zerstört unseren Planeten / der Militärisch-Industrielle Komplex ist ein potentieller Gegner der nationalen Interessen“. In dem Kontext der Kritik, die der Anastasia-Bewegung und Otterpohl selbst bisher entgegengebracht worden ist und seinen Distanzierungsversuchen zu antisemitischen und rassistischen Ideologien, ein mehr als deutliches Beispiel dafür, dass ihm selbst Verschwörungsnarrative nicht fern zu sein scheinen. So kursiert in entsprechenden Verschwörungserzählungen neben der Vorstellung einer angeblichen „jüdischen Weltverschwörung“ auch das Narrativ, dass diese die Apokalypse vorantreiben wolle. All diese Narrative verbreitet Otterpohl in seinen Vorträgen unter dem Logo der Technischen Universität.

Laut einem Beitrag der Sendung Kontraste des RBB scheinen Otterpohls ideologische Verstrickungen auch innerhalb seiner Vorlesungen deutlich zu werden. So berichtet ein Studierender darüber, dass sich Otterpohl in seiner Veranstaltung explizit über die Existenz von Chemtrails geäußert habe. Dabei habe er von „Besprühungen“ und „Kondensstreifen“ gesprochen und davon, dass dies Einfluss auf den Menschen nehmen würden. Die Leitung der Technischen Universität äußerte sich dem RBB gegenüber demnach, dass es bisher keine Beschwerden aus der Studierendenschaft gegeben habe.

Gerade nach diesem Beitrag wird es spannend zu beobachten, ob Otterpohls Ideologie und deren Verbreitung innerhalb von universitären Veranstaltungen, sowie die Nutzung des Universitätslogos für seine privaten Vorträge, Konsequenzen nach sich ziehen werden. So geht es hierbei schon lange nicht mehr um Debatten der Meinungsfreiheit oder persönlichen Vorlieben, sondern um die Verbindungen eines Universitätsprofessors zu verschwörungstheoretischen, rassistischen und antisemitischen Strukturen.

 

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